Missglückt aber bedeutsam: „Der Fall Wilhelm Reich“ als Spielfilm. Rezension  

von Andreas Peglau

Dieser Film ist nicht gut, aber wichtig. Insofern halte ich es für gut, dass es ihn gibt – auch so, wie er ist. Denn er verschafft einem zu Unrecht weitgehend unbekannt Gewordenen wieder mehr – verdiente – öffentliche Aufmerksamkeit und gibt ihm mit Klaus Maria Brandauer zudem ein nachhaltig wirkendes Gesicht.

Brandauer als Reich

Filmplakat

Wilhelm Reich (1897-1957) war eine der herausragenden Gestalten der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts. In den 1920er Jahren in Wien einer der wichtigsten Mitstreiter Sigmund Freuds geworden, vertiefte er insbesondere die psychoanalytische Gesellschaftstheorie und Therapiemethodik, entwickelte Letztere zur Körperpsychotherapie. Später wandte er sich biologischen, physikalischen, ökologischen und psychiatrischen Forschungen zu, engagierte sich für nicht-autoritäre Erziehung und nahm vorweg, was heute als „natürliche Geburt“ bezeichnet wird.

Reichs Lebenslauf spiegelt zugleich viele politische Kämpfe des letzten Jahrhunderts wider. 1927 trat er der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) bei, spätestens 1930 der Kommunistischen Partei (KPÖ). Er bemühte er sich schon in Wien um eine „linke“ Einheitsfront gegen den aufkommenden Faschismus, gründete die Zeitschrift „Der revolutionäre Sozialdemokrat“, hielt öffentliche Vorträge, ließ sich – erfolglos – als KPÖ- Kandidat für den österreichischen Nationalrat aufstellen. 1930 nach Berlin gezogen, wurde er umgehend KPD-Mitglied, bald einer der besten Dozenten der bekannten Marxistischen Arbeiterschule, engagierte sich gegen den Abtreibungsparagraphen 218, gehörte zum Leitungsgremium einer KPD-nahen sexualreformerischen Massenorganisation und war – nach Freud – der wohl erfolgreichste psychoanalytische Autor im deutschen Sprachraum.

Im Herbst 1933 – bereits im skandinavischen Exil – veröffentlichte er mit der Massenpsychologie des Faschismus eine erstaunlich hellsichtige Analyse des Hitler- Regimes, die bis heute unter psychoanalytischen Publikationen Ihresgleichen sucht. Im selben Jahr wurde er von den kommunistischen Organisationen ausgeschlossen, weil er zu eigenständig und zu psychoanalytisch argumentierte. Nahezu zeitgleich verbannte ihn die Internationale Psychoanalytische Vereinigung aus ihren Reihen, weil er zu eigenständig und zu „links“ argumentierte – und weil er die geplante Anpassung der Psychoanalytiker an das NS-Regime empfindlich behinderte. 1933 war er einer von nur vier Analytikern, deren Bücher nachweislich verbrannt wurden; gegen ihn und seine Schriften sollten sich alsbald mehr Maßnahmen der braunen Machthaber richten als gegen sämtliche andere seiner Kollegen. Und er war bis 1941 der einzige Psychoanalytiker weltweit, der offen und tiefgründig sowohl gegen den Faschismus wie auch gegen den Stalinismus Stellung bezog.

Nach diversen – letztlich scheiternden – Neuanfängen in verschiedenen Exilländern wanderte er 1939 in die USA aus. Zuvor war er aus Deutschland ausgewiesen worden, hatte der Volksgerichtshof ein Verfahren gegen ihn und den späteren Bundeskanzler Willy Brandt wegen Hochverrats eingeleitet; kurz danach wurde er aus Deutschland ausgebürgert. Etwa zeitgleich begann seine Observierung durch US-Geheimdienste, mit Kriegseintritt der USA wurde er als vermeintlich feindlicher und kommunistischer Ausländer inhaftiert. Wieder in Freiheit, setzte er seine Forschungen fort, die nun einen neuen Schwerpunkt hatten: Die Erforschung von ihm „Orgon“ genannter Lebensenergie – ein Phänomen, das Parallelen aufweist zu dem, was in China als Chi, in Indien als Prana und in der voreinsteinschen Physik als Äther bezeichnet wurde. Mittels „Orgon“ bemühte er sich, Krankheiten bis hin zu Krebs zu heilen, aber ebenso in erstarrte klimatische Verhältnisse „energetisierend“ einzugreifen, unter anderem: Regen zu machen. Bei Radium-Experimenten erkannte er, wie gefährlich auch die friedliche Nutzung von Atomenergie ist. Wie viele damalige US-Bürger meinte er, UFOs zu sichten, die er freilich überdies mit seinen Lebensenergiestrahlern zu bekämpfen suchte. Zu dieser Zeit wurden nicht nur seine cholerischen und rigiden Züge immer stärker, auch paranoide Tendenzen traten deutlich hervor – ohne allerdings jemals völlig von ihm Besitz zu ergreifen. Freunden, Kollegen und Angehörigen machte er es zusehends schwerer, im Kontakt mit ihm zu bleiben. Bereits jahrelang bespitzelt und erneut wiederholt öffentlich diffamiert, wurde ihm 1954 wegen angeblicher Scharlatanerie in den USA der Prozess gemacht; 1956 musste er zum zweiten Mal miterleben, dass seine Bücher auf staatliche Anordnung verbrannt wurden. Wegen Missachtung des Gerichts wurde er zu zwei Jahren Haft verurteilt. Am 3.11.1957 starb Reich im Gefängnis, vermutlich an Herzversagen.

Was für ein Leben! Und: Was für ein Stoff für einen Film!

Aber leider ist davon in Antonin Svobodas „Der Fall Wilhelm Reich“ wenig übrig geblieben. Nicht nur ist die Handlung des 110minütigen Films auf die letzten Lebensjahre Reichs fixiert – eine Begrenzung, die durch weitergehende Rückblenden, beispielsweise eingebaut in das Gerichtsverfahren, leicht zu überwinden gewesen wäre. Das Weglassen unnötiger Längen und Nebenhandlungen hätten dafür zudem ausreichend Platz geboten.

Darüber hinaus verdreht und beschneidet der Film die historische Wahrheit mehrfach in einer Weise, die sich nicht mit künstlerischer Freiheit begründen lässt – schon deshalb, weil dadurch kein ästhetischer oder sonstiger Mehrwert entsteht. Beispielsweise hielt es Regisseur und Drehbuchschreiber Svoboda für nötig, Atomtests in der Nähe von Reichs Wohnort in Maine zu erfinden oder eine mit dem Vornamen von Reichs letzter Ehefrau Aurora versehene Judasfigur zu konstruieren – als wäre Reichs reales Leben nicht genug gefüllt mit dramatischen Verstrickungen. Zudem verwendet der Film ein oberflächliches Gut- und-Böse-Schema. Einer von brutalen Psychiatern, zynischen Agenten, verräterischen (Ex-) Kollegen und miesen Kleinbürgern dominierten Welt steht ein fast durchweg warmherziger, verständnisvoller, kluger, feinsinniger, unbeirrbarer (gelegentlich sturer – aber doch für eine gute Sache!) Reich gegenüber. Den gab es mit Sicherheit auch – und Klaus Maria Brandauer verkörpert diese Seite Reichs so überzeugend, dass Reich durch den Film wenigstens ein Teil jener Sympathie und jenes Respekts zufließen dürfte, die er tatsächlich verdient.

Aber wer idealisiert wird, auf einen Thron gestellt, der wird in Wirklichkeit kleiner gemacht als er ist: Einer solchen Lichtgestalt, wie sie Brandauer regiegemäß hier gibt, musste ja diese Unbeugsamkeit ein Leichtes sein! Svoboda bezeichnete seinen Film in einem Rundfunk- Interview als Liebeserklärung an Reich. Wenn jemand das Objekt seiner vermeintlichen Liebe jedoch rosarot anmalt, ist es bestenfalls Verliebtheit, Verklärung. Gerade weil Reich ein Mensch war mit Macken und Grenzen – wie wir alle –, gerade weil er nachvollziehbarerweise seelisch ein Stück kaputt ging unter der jahrzehntelangen Verfolgung und Ausgrenzung, ist es umso bewunderungswürdiger, zu welchen außergewöhnlichen Fragestellungen und Leistungen er fähig war und blieb. Klaus Maria Brandauer – der entscheidende Pluspunkt dieses Films – hätte die Vielschichtigkeit des realen Reich gewiss glaubhaft spielen können, man denke nur an seine Darstellung von Klaus Manns „Mephisto“. Aber diese Vielschichtigkeit stand eben nicht im Drehbuch. Und das heißt in meinen Augen: Hier wurde eine große Chance vertan. Wer weiß, wann wieder jemand die Zähigkeit haben wird – Zähigkeit muss man Svoboda, der lange um dieses Projekt gekämpft hat, zweifellos bescheinigen – einen Spielfilm über den unbequemen Außenseiter Reich in Angriff zu nehmen.

Mein Vorschlag ist also: Schauen Sie sich diesen Film an – es ist zu hoffen, dass er auch auf DVD erscheint – und machen Sie sich anschließend auf, sich dem realen Reich anzunähern. Dazu stehen neben Reichs Schriften von Bernd A. Laska eine kompetente Kurzbiografie zur Verfügung, von Myron Sharaf oder David Boadella umfangreichere Darstellungen. Oder lesen Sie den ebenso informativen wie berührenden Briefwechsel, den Reich über mehrere Jahrzehnte mit Summerhill-Gründer Alexander Neill führte. Wie auch immer: Machen Sie sich ein eigenes Bild von Wilhelm Reich – es lohnt sich.

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Tipp zum Weiterlesen:

Ein wichtiger Film mit wichtigen Auslassungen: „Love, work and knowledge – the life and trials of Wilhelm Reich” von Kevin Hinchey und Glenn Orkin.

PS 2014:

Auch ein früherer, kürzerer Film ist sehenswert, den Reich bzw. die Erinnerungen seines Sohnes Peter („Der Traumvater“) inspiriert haben: Das Video zu Kate Bush´s Hit „Cloudbusting“. Als regenmachender und von den Behörden verfolgter Reich hier zu sehen: Donald Sutherland. Kate Bush versetzte sich in die Rolle des Sohnes.

 

PS 2019: Inzwischen gibt es denn Spielfilm auch bei youtube: https://www.youtube.com/watch?v=TLEbcRRYw3g