Der Stachel Reich

von Jérôme Seeburger, Leipzig

in Einsicht 12, Herbst 2014, Bulletin des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt a.M., S. 82

(Auszüge)

Die Auseinandersetzung mit Wilhelm Reich war lange Zeit durch Ressentiments auf der Seite seiner Gegner und ergebener Bewunderung auf der Seite seiner Verehrer bestimmt. Der Psychoanalytiker Andreas Peglau möchte mit der vorliegenden Dissertation sowohl den Verzerrungen wie den Verklärungen entgegenwirken und einen Beitrag zur sachlichen Diskussion des Reich’schen Werkes, besonders dessen antifaschistischen Engagements, leisten.

Dies gelingt Peglau gerade deshalb, weil er nicht versucht, Unvoreingenommenheit vorzutäuschen. Er benennt, was er an Reich schätzt und kritisiert, und legt sein Forschungsinteresse offen, wodurch seine Urteile nachvollziehbar werden.

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Es handelt sich bei Peglaus Studie um wesentlich mehr als eine weitere politische Biografie Wilhelm Reichs, auch wenn sie die Struktur einer solchen aufweist. Durch das Prisma Reich erhellt Peglau die Geschichte der psychoanalytischen und der sozialistischen Bewegung, indem er deren Auseinandersetzung mit und über Reich rekonstruiert.

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Der Konservativismus, der Autoritarismus und das Unverständnis des Nationalsozialismus aufseiten der KPD wurden von kommunistischen Dissidenten schon früh kritisiert und inzwischen auch wissenschaftlich erhellt. Dieser Forschung bietet Peglau mit der Untersuchung des besonderen Falls Reich weiteres aussagekräftiges Material. Noch ertragreicher ist Peglaus Untersuchung der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung: Hier bringt er, getreu seinem Anspruch, nicht nur Vergessenes, sondern auch Verdrängtes ans Licht, das sich mit der immer noch verbreiteten Auffassung, die Psychoanalyse sei im Nationalsozialismus verfolgt worden, nicht verträgt.