Eines der wichtigsten Bücher zur Geschichte der Psychoanalyse

Werner Abel über die 3., erweiterte Neuauflage 2017, neues deutschland 22.3.2017, Beilage zur Leipziger Buchmesse

Andreas Peglau, selbst Psychologe und Psychotherapeut, engagiert sich seit langem dafür, diese Verdrängung [Reichs] aufzuheben. Als wichtigstes Ergebnis jahrelanger Recherchen ist sein Buch Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus zu nennen. Es dürfte zu Wilhelm Reichs 120. Geburtstag am 24. März für historisch Interessierte und vor allem heutigen Berufskollegen eine ergiebige Erkenntnisquelle sein.

Zu der in ihrer Materialfülle einzigartigen Aufarbeitung sind weitere 40 Extraseiten hinzugekommen. Sie informieren über Reichs – zeitweise wohl von der Komintern gelenktes – geheimes Wirken in der KPÖ und über seine Tätigkeit innerhalb des Einheitsverbandes für proletarische Sexualreform und Mutterschutz. Zudem über seine Freundschaft zu dem KPD-Abgeordneten Theodor Neubauer und seine Mitwirkung im Initiativkomitee zur Vorbereitung jenes 1932 in Amsterdam abgehaltenen Antikriegskongresses, dessen Organisation maßgeblich Willi Münzenberg oblag. Aber auch über die Verstrickungen von Psychoanalytikern in die psychologische Kriegsführung des „Dritten Reiches“ und in die gegen Faschisten wie Kommunisten gleichermaßen gerichteten Aktivitäten von US-Geheimdiensten hat Peglau Zusätzliches zu berichten.

Man sollte sich nicht vom beachtlichen Umfang dieses Buches abschrecken lassen. Es sei hier versichert, dass es erstens prägnant und flüssig geschrieben ist. Zweitens handelt es sich um eines der wichtigsten Bücher zur Geschichte der Psychoanalyse, das deren Niedergang von einer sozialkritischen Theorie und Praxis zur medizinalisierten, angeblich „unpolitischen“ Wissenschaft erstmals detailliert nachvollziehbar macht. Und drittens bietet es die Wiederentdeckung eines herausragenden linken Sozialwissenschaftlers, dessen Werk von aktueller Brisanz ist: Reichs 1933 zu Papier gebrachte Erkenntnisse werden dringend benötigt, um den europäischen „Rechtsruck“ nicht nur zu verstehen, sondern ihm auch angemessen entgegen zu treten.