Das Drama der Psychoanalyse in der Zeit des Nationalsozialismus. Zu Andreas Peglaus Buch über Wilhelm Reich

von Hans-Martin Lohmann

in Luzifer-Amor. Zeitschrift für Geschichte der Psychoanalyse 54, 27. Jg.2014, S. 163-167.  (Auszüge)

… geht Peglau intensiv der Frage nach, ob es außer Reich Analytiker gab, die sich in den 30er Jahren offen gegen den Faschismus wandten. Das Resultat seiner Recherche ist ernüchternd, ja, wie man feststellen muss, für die Psyoanalyse beschämend. »[U]nter mehreren Tausend Artikeln, Rezensionen, Mitteilungen, Büchern und sonstigen Veröffentlichungen von Psychoanalytikern in den Jahren von 1932 bis 1939«, die Peglau erfasst hat, konnte er »keinerlei offen gegen Faschismus oder Nationalsozialismus gerichtete Beiträge entdecken«.

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Diese Passivität gegenüber dem nationalsozialistischen Terrorsystem, das ja auch unmittelbar Analytiker betraf – so erinnert Peglau etwa an das Schicksal von Edith Jacobssohn, Karl Landauer und John F. Rittmeister –, konvergiert mit dem skandalösen Umstand, dass in den ersten Jahrzehnten nach 1945 die Geschichte der Psychoanalyse, ihrer Organisationen, Institutionen und Mitglieder im »Dritten Reich« eisern beschwiegen (oder schöngeredet) wurde.

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In einem eindrucksvollen Kapitel, das auf ebenso umfangreichen wie sorgfältigen Recherchen beruht und das allein schon die Lektüre dieses Buches lohnt, legt der Autor im Einzelnen dar, in welcher Weise die nicht-jüdischen deutschen Analytiker ihrem angestammten Beruf im »Dritten Reich« nachgehen konnten. Im Rahmen einer »Neuen deutschen Seelenheilkunde« war es möglich und erlaubt, nicht nur individuelle analytische Therapie zu praktizieren, sondern sich etwa auch auf dem Feld der tiefenpsychologischen Kriegsführung zu betätigen. So arbeitete Harald Schultz-Hencke über »Fragen der Anwendung der Tiefenpsychologie innerhalb der Wehrpsychologie«, während Boehm noch 1944 an der Erarbeitung von Vorschlägen zur »Begutachtung von Strafsachen wegen widernatürlicher Unzucht« (Homosexualität) mitwirkte. Auch Freuds Schrift Massenpsychologie und Ich-Analyse leistete bei der »Feinderkennung« gelegentlich gute Dienste. Wie Peglaus ausgedehnte Nachforschungen überhaupt deutlich machen, dass trotz Bücherverbrennung, Publikationsverbot und Zensur durch die NS-Behörden, von der in erster Linie jüdische und linke Autoren (allen voran Freud, Anna Freud, Siegfried Bernfeld, Wilhelm Reich) betroffen waren, psychoanalytische Literatur in erstaunlichem Umfang weiterhin erscheinen, beworben und genutzt werden konnte. Ein umfassendes Verbot psychoanalytischer Schriften hat es nie gegeben …

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Andreas Peglau dürfte für lange Zeit die gründlichste und umfassendste wissenschaftliche Aufarbeitung eines schwierigen Kapitels aus der Geschichte der Psychoanalyse gelungen sein. Seine Verdienste um die Aufklärung einer immer noch von Legenden, Mythenbildungen oder schlichtem Unwissen umhüllten Katastrophe sind immens und kaum zu überschätzen. Viele Leser sollten es ihm danken.