„Mensch Du, das ist mir nicht bewußt“, die zweite Sendung von Andreas Peglau und Hans-Joachim Maaz bei DT 64 (Tondokument, April 1989)

Zwischen März 1989 und April 1991 führten Hans-Joachim Maaz und Andreas Peglau neunzehn Gespräche, aus denen Sendungen für Jugendradio DT 64 entstanden.

Am Montag, den 10.4.1989 lief zwischen 20.03 und 21 Uhr die zweite dieser Sendungen, zugleich Teil 2 von „Mensch Du, das ist mir nicht bewußt.

An anderer Stelle habe ich dazu das geschrieben:

Hans-Joachim Maaz erklärte ausführlich, wie psychoanalytische und körpertherapeutische Behandlungen wirkten, wie intensiv sie ihre Patienten „umkrempeln“ konnten. In unserer zweiten Sendung im April 1989 fragte ich ihn daher auch, was denn in einem Patienten noch übrig bliebe von den vertrauten Normen und Werten nach einer derartigen Therapie.

Maaz: Es ist tatsächlich so, daß er die Bezugspunkte, durch die er krank geworden ist, verlieren wird. Er muß vorhandene Normen, Einstellungen und Haltungen, an die er bisher geglaubt hat, nach denen er gelebt hat, aufgeben und neue gewinnen. Und das betrifft natürlich die wesentlichen Bereiche des Lebens: Partnerschaft, Beruf, Moral, weltanschauliche, religiöse, politische Positionen, die man plötzlich erneut überprüfen muß.
Das ist sowieso meine Auffassung, daß jeder Mensch, wenn er erwachsen geworden ist, verpflichtet ist, verantwortlich dafür ist, alle Normen, die er kennengelernt hat, noch einmal kritisch zu prüfen. Und er wird viele von diesen Normen über Bord werfen müssen. Und die, die alle diese Normen unkritisch übernehmen, sind eher gefährdet, sowohl die gesellschaftliche Entwicklung zu behindern, als auch selbst krank zu werden.

Peglau: Heißt das, der Patient einer solchen Therapie wird ein unangepaßter Mensch?

Maaz: Er wird ein unangepaßter Mensch hinsichtlich falscher Normen, die ihm vermittelt wurden.
Ich denke, es ist wichtig, zu verstehen, daß nur unangepaßte Menschen, die in der Lage und bereit sind, falsche Normen zu empfinden – weil sie sich das bewußt gemacht haben und sich kritisch damit auseinandersetzen – daß nur solche unangepaßten Menschen eine Gesellschaft weiterentwickeln können. Die werden nämlich ein Gespür dafür haben, was gut ist, gesund, natürlich. Und die werden auch am entschiedensten verhindern, daß sich falsche Normen weiter ausbreiten.
Genau solche Menschen, denke ich, braucht eine gesunde Gesellschaft!“

Obwohl ich weiß, daß sich die Brisanz dieser Sätze aus der Perspektive des „vereinigten Deutschlands“ kaum noch nachvollziehen läßt, halte ich es doch für einfühlbar, daß solche Gedanken in einem Staat, der behauptete, durch den Marxismus-Leninismus über „wissenschaftlich begründete“, „objektiv-richtige“ und daher im Prinzip unantastbare Normen und Werte zu verfügen, normalerweise nicht durch die Medien verbreitet wurden.

Nach der zweiten Sendung mit Hans-Joachim Maaz über das „Unbewußte“ und seine Konsequenzen für Leben und Lieben, im April `89, bot ich den Hörerinnen und Hörern eine schriftliche Zusammenfassung an …

Von nun an kamen zu unseren monatlichen Sendungen jedesmal um die 1.000 Briefe und Karten – eine absolut ungewöhnliche Resonanz.

Aber noch viel erstaunlicher und beeindruckender als diese Menge von Zuschriften war ihr Inhalt, war die – bei aller Verschiedenartigkeit der Absender – sich ähnelnde persönliche Betroffenheit, die unsere Sendungen bei vielen ausgelöst hatte. Menschen zwischen 15 und 60 (die meisten allerdings zwischen 25 und 40), Lehrerinnen, Ingenieure, Kindergärtnerinnen, Offiziere, Gabelstaplerfahrer, Studenten, Hausfrauen, Ärztinnen, Mütter im Baby-Jahr, Facharbeiter, Fotografinnen, Schüler, Physiker, Invaliden-Rentner, ein Kneipenwirt … schrieben auf eine derartig offene Weise über sich, wie ich es noch nicht erlebt hatte. Nicht nur mir „im“ Radio, auch jenen vor dem Radio schien eine Erkenntnis nach der anderen hochzukommen.

Mensch Du Cover

(Zum Lesen des Heftchens bitte hier klicken: Mensch Du)

 

Hier ist ein Ausschnitt (ca. 15 Minuten) daraus zu hören, in dem neben Hans-Joachim Maaz auch Patientinnen und Patienten seiner Klink zu Worte kommen:

Rechteinhaber und Quelle des Audiodokumentes: Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

 

Tipp zum Weiterhören:

Mensch Du – das ist mir nicht bewusst, Teil 1