Eine Einladung an die Männer. Zu “Weiche Macht“ von Sabine Lichtenfels.

 von Andreas Peglau

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Eine Utopie, die sich nicht auch damit auseinandersetzt, wie es in Zukunft mit den Liebes- und Sexualbeziehungen weitergehen soll, ist zum Scheitern verurteilt. Das denke ich jedenfalls.

Sabine Lichtenfels stellt genau dieses Thema in den Mittelpunkt ihres Buches. Und knüpft damit z.B. an der Stelle an, an der selbst Friedrich Engels gekniffen hat (in seinem Buch „Ursprung der Familie“, nicht in seiner Lebenspraxis): Wenn die monogame, ausschließliche Zweierbeziehung erst das relativ späte Produkt von Klassengesellschaften ist, müßte sie ja wohl auch mit diesen Gesellschaften verschwinden. Aber wie dann weiter?

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Sabine Lichtenfels: “Weiche Macht. Perspektiven eines neuen Frauenbewußtseins und einer neuen Liebe zu den Männern”, 1996 erschienen im Verlag Berghoff and friends, Belzig

In der Theorie ist mir die Antwort auf diese Frage relativ klar: Ohne Ehe, ohne Eifersucht, mit parallel laufenden Zweier-Beziehungen, die auch die Sexualität nicht ausschließen. Praktisch bin ich gerade bis dahin gekommen (ein einziges Mal), statt heimlich „fremdzugehen“, dazu zu stehen, daß ich mich in eine andere Frau verliebt hatte. Und auch dazu zu stehen, daß ich meine eigentliche Partnerin trotzdem immer noch lieb hatte. Schon das hat mich viel Mut gekostet und meine Partnerin viele Tränen. Aber dennoch: Selbst diese Episode läßt mich hoffen, daß wir nicht unbedingt dazu verdammt sind, uns gegenseitig dabei zu behindern, so viele schöne sexuelle Erlebnisse zu haben, wie möglich. Und diese Erlebnisse sind so etwas wie das Salz in der Suppe des Lebens. Ohne schönen Sex hat alles andere auf Dauer auch keinen Sinn.

Sabine Lichtenfels theoretisiert ebenfalls nicht nur über dieses Thema. Ihr Buch ist auch die (sehr offenherzige) Zwischenbilanz eines Langzeitversuchs, aus den gängigen sexualfeindlichen Beziehungsklischees auszubrechen. Schon bei ihrem ersten Freund bekam sie zu spüren, wie widersinnig die übliche Entweder-Oder-Strategie in der Liebe ist:

„Auf einmal machte man sich Gedanken darüber, wie es weitergehen sollte. Die Vorstellung, daß man demnächst heiraten sollte oder ähnliches, war ganz unmöglich. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß ich jetzt nie mehr etwas mit einem anderen Mann zu tun haben sollte. Aber ihn verlassen, daß wollte ich schon gar nicht. Wir führten ein langes Gespräch. Es war klar, daß auch er noch andere Frauen entdecken wollte. Und dafür mußte man eben Schluß machen. Es schien wie ein Naturgesetz, daß es unmöglich war, einen Menschen innig zu lieben und gleichzeitig eine neue Welt entdecken zu wollen und sich anderen gegenüber zu öffnen, auch sinnlich.“

Trotzdem versucht sie diese Öffnung, noch als Schülerin, später als Theologie-Studentin sowie als 21jährige Mutter und Ehefrau. Aber auch bei ihrem Mann beißt sie damit wieder auf Granit. Er nimmt sich zwar die Freiheit zu sexuellen Abenteuern, verweigert ihr aber voller Eifersucht das selbe Recht. Mit der freien Liebe, die sie sich wünscht, hat das nichts zu tun.

Nachdem sie sich von ihm trennt, kann sie in dieser Hinsicht weitere Erfahrungen sammeln, unter anderem aber auch die: „Sex ohne geistige Verbindung zu den Männern wurde auf Dauer auch schal.“ Und erst als sie – mit Mitte zwanzig – in ein Gemeinschaftsprojekt von Gleichgesinnten (die „Bauhütte“) einsteigt, kann sie damit beginnen, einen langgehegten Traum zu verwirklichen: „Wir wollten ein Dorf aufbauen, in dem wir mit all unseren Freunden leben, unsere eigenen Berufe entwickeln und neue Wege in der Liebe suchen.“ Aber hier wird sie auch mit ihrer eigenen Eifersucht konfrontiert, denn sie und eine Freundin lieben denselben Mann. Doch einige Zeit später kann sie feststellen: „Maria gehört für mich heute zu den Frauen, mit denen ich mich immer verständigen kann und mit der ich eine immer tiefere Zusammenarbeit anstrebe. Wir sind Mütter von zwei prächtigen Töchtern, und ihr Vater ist derselbe Mann.“ Umgekehrt: Dieser Mann behindert auch nicht „seine“ Geliebten, Beziehungen mit anderen Männern aufzubauen. Und das alles hat nichts zu tun mit zentral verordnetem „Durcheinanderbumsen“ (freie Liebe ist logischerweise auch freiwillig) und es schließt langfristige Liebesbeziehungen auch nicht aus, sondern macht sie letztlich überhaupt erst möglich.

Mal vorausgesetzt, solche Verhältnisse sind im Prinzip anstrebbar (und für mich sind sie das): Wie komme ich dahin? Wie Sabine Lichtenfels, ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen dorthin gekommen sind, hat sie beschrieben:

„Wir entwickelten viele Methoden von Kunst und Theater, Materialaktion und Musik, um uns selbst zu einem schöpferischen Forschungsgegenstand zu machen. Die persönlichen Themen, mit denen man sich herumschleppte, die man mühsam versuchte vor anderen zu verstecken, das waren die Themen von allen anderen auch. Und wer beitrug zur Lösung seines eigenen Problems, der trug immer bei zur Lösung des Ganzen.“

Das war weder leicht („Es gab Situationen, da konnte keiner mehr keinen leiden.“) noch ging es schnell: Erst 1982, nach vier Jahren solch klärender Vorarbeit, waren sie („40 Männer und Frauen mit ihren Kindern“) soweit, gemeinsam auf einen Gutshof im Schwarzwald zu ziehen. Und das Dorf, von dem Sabine Lichtenfels träumte, wurde es auch noch nicht. Erst heute – und in Portugal – kann sie daran gehen, „neue Architektur, Kunst, Ökologie, Technologie und Heilung“ in einem Projekt so zusammenzufasssen, wie sie es sich wünscht,

„denn wer sich in Deutschland einmal den Ruf einer Sexsekte eingeheimst hat, dem wird es mit Sicherheit von keiner Behörde erlaubt, Windgeneratoren aufzubauen, geschweige denn Wohnmodelle zu entwickeln, die einer ökologischen und transparenten Lebensweise entsprechen.“

Die „Weiche Macht“ ist aber mehr als eine biographische Skizze. Das kündigt sich schon im Untertitel an: „Perspektiven eines neuen Frauenbewußtseins und einer neuen Liebe zu den Männern“. Sabine Lichtenfels will „anknüpfen an die Geschichte des Matriarchats, ohne ins Neandertal zurückzufallen.“ Sie will „auch die positiven Aspekte der patriarchalen Epoche nicht unterschlagen“, zum Beispiel „das objektive Denken“, das „historische Denken“, die „Analyse, Systematik und Ordnung hineingebracht (haben) in das Chaos der uns umgebenden Dinge“. Sie schätzt auch ein, daß „die Situation der Männer bestimmt nicht leichter ist als unsere eigene“ und sie stellt klar, daß „die Frauen, die Mütter und Großmütter, alle sehr aktiv mitgespielt (haben) in jenem fürchterlichen Szenarium, welches wir die patriarchale Epoche nennen.“

Dementsprechend betont sie zwar die spezifische Rolle, Chance, Verantwortung des weiblichen Teils der Menschen – aber sie fordert eine neue Frauenbewegung, die statt durch das gemeinsame Feindbild Mann zusammengehalten wird durch „Frauensolidarität“ und durch gemeinsamen Einsatz für eine sinnvolle Zukunft.

Im Gegensatz zu mancher anderer feministischen Literatur habe ich hier nicht das Gefühl bekommen, unterschwellig bedroht und zur Sau gemacht zu werden als Vertreter der Gattung Mann. Es klingt mehr wie eine Einladung. Und das eben nicht nur zu gemeinsamer Arbeit, gemeinsamer Kinderaufzucht, gemeinsamen Kampf usw. – sondern auch zur Liebe.

Daß Sabine Lichtenfels das ernst meint, entnehme ich beispielsweise ihrem Vorschlag, „Liebesschulen“ aufzubauen, in denen eine „Liebeslehrerin“ sich um die „endgültige Überwindung der männlichen und weiblichen Ängste im Bereich der Liebe“ bemüht.“ Dabei sollte es unter anderem darum gehen, daß „die Phantasien nicht länger ein abgespaltener Teil unserere Seele“ sein müssen.

„Ein Mann soll es z.B. nicht mehr verbergen müssen, daß er besonders geil wird bei der Phantasie, gequält zu werden. Oder nur zum Orgasmus kommen kann, bei dem Gedanken, daß er die Frau ganz in der Gewalt hat. Daß ein Mann Gewaltphantasien hat, das ist nicht seine private Perversion, sondern das ist, bei der Kulturgeschichte, aus der wir kommen, statistisch normal. Und der Mann wird erstaunt sein, wie sehr die sexuelle Bilderwelt der Frauen ihre Entsprechung dazu hat. Je mehr realer Kontakt zur Frau im Sex entsteht, desto mehr wandeln sich auch die Phantasien der Gewalt in Bilder der Liebe.“

Frauen werden diesem mutigen (weil offenen und zugleich persönlichen) Buch sicherlich noch mehr entnehmen können als Männer. Aber es zu lesen, dürfte für beide Geschlechter ein Gewinn sein. Ich glaube auch, daß weder Menschen in Zweierbeziehungen noch in Gemeinschaftsprojekten auf Dauer umhin kommen werden, sich mit der Freien Liebe offensiv auseinanderzusetzen – vorausgesetzt, sie meinen es wirklich ernst miteinander. Sabine Lichtenbergs Erfahrungen damit und ihre Ideen dazu sind also eine gute Diskussionsgrundlage für ein entscheidendes Thema.

Probleme habe ich allerdings mit manchen prophetisch anmutenden Sätzen in den nichtbiografischen Kapiteln: „Die Frau der Zukunft wird ein neues Verhältnis zur Mutterschaft entwickeln“, „Natürlicherweise werden wir Frauen uns ganz besonders dafür einsetzen, daß für die Jugend besondere Räume und Treffpunkte entstehen“, „Die Frauen werden ihre medialen Fähigkeiten und ihre Kräfte der Intuition wieder entfalten“, „Frauen … werden für ein neues Verhältnis zu Tod und Wiedergeburt sorgen und der Erforschung dieser Zusammenhänge eine hohe Aufmerksamkeit schenken“ usw.

Sabine Lichtenfels schreibt, daß diese „Wir“-Sätze die Verwirklichung des Traumes von der neuen Frauensolidarität schon einschließen. Und offenbar enthält dieser Traum auch die Erwartung: Was Sabine Lichtenfels in sich selbst an Fähigkeiten und Interessen entdeckt hat, ist gleichzeitig typisch weiblich. Das ist sicher legitim. Aber ich bezweifle, daß es eine gute Plattform ist für einen übergreifenden Zusammenschluß: Wer für Frauensolidarität ist, glaubt doch deshalb nicht automatisch auch an mediale Fähigkeiten oder an Wiedergeburt.

Zudem fällt bei solchen Pauschalisierungen unter den Tisch, wie sehr biologische und historische Gemeinsamkeiten heutzutage überdeckt werden durch soziale und kulturelle Unterschiede. Dieses Gebiet halte ich auch nicht im Entferntesten für ausgelotet, wenn Sabine Lichtenfels eingesteht: „Natürlich gibt es so viele Unterschiede, wie es Frauen gibt. Die eine liebt den Sex mehr, die andere weniger …“.
Ich glaube beispielsweise, eine unter dem Existenzminimum dahinvegetierende schwarze Slumbewohnerin in den USA hat mehr Gründe für Solidaritätsgefühle gegenüber ihrem farbigen Mann und Mit-Slumbewohner, als gegenüber Hillary Clinton. (Bei diesem Präsidentenehepaar – und manchen anderen Paaren – weiß ich ohnehin nicht, wer die „weicheren“ Züge hat.)

Aber auch die immer wiederkehrenden Wörter werden und wird machen mich nervös. Legen sie doch scheinbar nahe, genau diese Entwicklung – und keine andere – muß stattfinden. Und das halte ich für ein Gerücht. Und Sabine Lichtenfels doch wohl auch: „Ich kann erst an eine bessere Zukunft glauben und an die Möglichkeiten ökologischer Heilung, wenn auch im intimsten Bereich, im Bereich der Liebe, eine strukturelle Heilungsmöglichkeit erkannt und genutzt wird.“

Warum schreibt sie dann ein paar Seiten später so, als ob diese bessere Zukunft doch schon beschlossene Sache wäre? Soll es das sein, was sie „Affirmation“ nennt – die „Kunst der Bejahung, die Kunst, neue Ideen zu sehen, zu wollen und zu verwirklichen“? Wenn das zur verbalen Verzerrung der Realität führt, kann ich mich damit nicht anfreunden.

Möglicherweise bin ich übersensibel geworden in dieser Hinsicht nach jahrelangem Hören, Lesen (und auch noch Glauben) der Reden des SED-Politbüros. Auch da war angeblich immer völlig klar, wo´s langgeht und daß „das gesamte Volk der DDR“ selbstverständlich dahintersteht usw. Aber dieses ideologiegeleitete Wunschdenken hat dem „realen Sozialismus“ eher geschadet als genutzt. Warum sollte man sich auch unnötig engagieren, wenn sowieso schon alles bestens lief. Aber gar nichts lief sowieso schon bestens. Und heute genausowenig.

Daher hätte ich Wendungen bevorzugt wie: „Ich bin der Meinung …“, „Ich glaube, hoffe, wünsche, daß …“. Oder klare Benennungen von Voraussetzungen bzw. real einbezogenen Personenkreisen: „Wir – meine vierzig Freunde, Freundinnen und ich werden …“. Oder: „Wenn sich tatsächlich immer mehr Menschen diesen Ideen anschließen, dann …“.

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Aus Ich – Zeitschrift für neue Lebenskultur, Frühling 1997

 

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