Globalisierung – eine Falle? Rezensionen

von Andreas Peglau

Zu drei Büchern, die sich ergänzende Sichtweisen auf brisante Vorgänge in Weltpolitik und -wirtschaft bieten.

Seitdem ich Hans-Peter Martin´s und Harald Schumann´s Buch Die Globalisierungsfalle gelesen habe, hat es mir keine Ruhe mehr gelassen:

„20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung würden im kommenden Jahrhundert ausreichen, um die Weltwirtschaft in Schwung zu halten. Ein Fünftel aller Arbeitssuchenden würde genügen, um alle Waren zu produzieren und die hochwertigen Dienstleistungen zu erbringen, die sich die Weltgesellschaft leisten können. Diese 20 Prozent werden damit aktiv am Leben, Verdienen und Konsumieren teilnehmen – egal in welchem Land.
Doch sonst? 80 Prozent der Arbeitswilligen ohne Job …“,

die „ mit einer Mischung aus betäubender Unterhaltung und ausreichender Ernährung … bei Laune gehalten werden.
So fassen die Autoren die Ergebnisse eines Treffens zusammen, zu dem Michail Gorbatschow im September 1995 im Namen seiner Stiftung nach San Fransico eingeladen hatte. 500 führende Politiker, Chefs von Industrie- und Medienkonzernen und Wissenschaftler sitzen dort zusammen und prophezeien „ … eine neue Gesellschaftsordnung: reiche Länder ohne nennenswerten Mittelstand – und niemand widerspricht.“

So kann eine globale Zukunft also auch aussehen. Kann – oder muß? Martin und Schumann belegen detailliert und logisch, wie weit der Zug schon längst in diese Richtung gefahren ist und wie schwer es sein dürfte, ihn noch aufzuhalten oder gar umzulenken. Trotzdem machen sie Gegenvorschläge.

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Hans-Peter Martin/ Harald Schumann (1996): Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Rowohlt

Doch leider: So schlüssig und umfassend ich die im Buch vorgenommene Analyse der gegenwärtigen Situation fand, so begrenzt kamen mir im Vergleich dazu die an seinem Ende angebotenen Lösungsschritte vor: Eine stärkere Europäische Union durch größere Öffentlichkeit und demokratischere Einbeziehung der von ihr vertretenen Bürger, einen starken „Euro“, eine europaeinheitliche Besteuerung für Konzerne und Superreiche, eine europaweite ökologische Steuerreform, den Aufbau schlagkräftiger europäischer Gewerkschaften. Obwohl Martin und Schumann auch weltweite ökologische und soziale Mindeststandards für den Handel fordern, laufen ihre Vorschläge doch im Wesentlichen auf das hinaus, was sie „die europäische Alternative“ nennen und so begründen: „Nur ein geeintes Europa kann im entfesselten Global-Kapitalismus neue Regeln des sozialen Ausgleichs und der ökologischen Umgestaltung durchsetzen“.

Einen Teil ihrer Vorschläge halte ich durchaus für sinnvoll. Aber kommt das Bedrohliche denn nur von Außen, vom „destruktiven angelsächsischen Marktradikalismus“? Sind so grundlegende Existenzfragen der heutigen Menschheit mit ein paar Verhaltens- und Gesetzesänderungen zu lösen und mit Reformen des real existierenden Kapitalismus? Geht es denn nur um Ökonomie und Politik? Das konnte ich nicht glauben. Es mußte doch noch „ganzheitlichere“, mehr an die Wurzel gehende Ideen geben. Aber was ist überhaupt „die Wurzel“? Ist nicht die Globalisierung an sich schon das Problem?

Eine menschengemachte Misere

Hans-Peter Martin und Harald Schumann beweisen: Eine schicksalhafte und unvermeidbare „Globalisierungsfalle“ gibt es gar nicht. Erst indem sich die westlichen Staatslenker von der Einflußnahme auf die Wirtschaft zurückzogen, haben sie den Freiraum geschaffen, den die Konzerne jetzt nutzen. Das heißt aber auch: Was nun Globalisierung genannt wird, die Öffnung und Vermischung der internationalen „Märkte“, hätte auch ganz anders ablaufen können. Die Politiker hätten zumindest gute Chancen gehabt, auf diesen Prozeß im Interesse der von ihnen vertretenen Völker einzuwirken. Selbst wenn sie diese Chancen nur begrenzt genutzt hätten: Globalisierung an sich mußte kein so vorwiegend destruktiver Vorgang werden, wie wir ihn momentan erleben.

Andererseits hätte der Rückzug westlicher Politiker aus der Ökonomie allein noch keine Globalisierung verursacht – statt des gesamten Globus wären in erster Linie nur die westlichen Industrieländer betroffen gewesen. Erst durch den Zusammenbruch des „sozialistischen Weltsystems“ und die Öffnung von so gigantischen „Märkten“ wie China, Indien, Vietnam und Bangladesh sind in den letzten Jahren plötzlich und zum großen Teil unerwartet 4 Milliarden Menschen – also weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – in den kapitalistischen Weltmarkt eingetreten (einen anderen Weltmarkt gab es ja nun auch nicht mehr). Vier Milliarden, die sich zuvor wirtschaftlich weitgehend abgeschottet hatten oder den überwiegenden Teil ihrer materiellen Bedürfnisse durch Selbstversorgung befriedigten, und die jetzt endlich an dem westlichen Wohlstand teilhaben wollten, wie sie ihn auf Fernsehbildschirmen und Kinoleinwänden kennengelernt hatten. „Das Radfahren ist in China inzwischen als Ausdruck der Unterentwicklung verpönt“ erfahren wir aus der Globalisierungsfalle, „derzeit bewegen sich auf den Straßen Chinas lediglich 1,8 Millionen Automobile. Doch in weniger als 15 Jahren sollen es bereits 20 Millionen sein. Die großen internationalen Markthersteller fiebern wie im Goldrausch …“. Aber nicht nur die Zahl potentieller Konsumenten hat sich auf diese Weise um mehrere Milliarden erhöht, auch die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte ist entsprechend gestiegen. Und erst unter diesen Umständen kommt es zu dem, was jetzt Globalisierung genannt wird.

Und? Da es aber nun leider einmal so ist, müssen wir uns eben der Logik der Konzerne beugen. Und das heißt erstens: Wir müssen auf Lohnforderungen verzichten, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Denn zweitens: Wenn wir das nicht machen, gehen die Konzerne ins Ausland und schaffen dort die Arbeitsplätze, die ihnen hier zu teuer sind.

Beides falsch.

Zwei Globalisierungs-Lügen.

Sir James Goldsmith war selbst jahrzehntelang einer der erfolgreichsten global tätigen Unternehmer – und ist jetzt einer der prominentesten „Aussteiger“ aus den gängigen Wirtschaftsdoktrinen. In seinem Buch Die Falle findet sich der schlagende Beweis dafür, wie sinnlos der Versuch ist, zurückzustecken, um ähnlich billig zu arbeiten wie Arbeiter in anderen Ländern: Ein Deutscher verdient heute im Durchschnitt soviel wie 47 Vietnamesen. Da wir aber in einer ganz anderen, spezialisierteren, weniger selbstversorgenden, nicht mehr auf Großfamilien aufbauenden Kultur leben, wären wir längst verhungert, bevor wir auch nur so billig arbeiten würden wie 10 Vietnamesen! Es ist deshalb völlig egal, ob wir einen Lohnstopp akzeptieren oder sogar 10 % Lohneinbuße hinnehmen: Wir können niemals auch nur ansatzweise so „kostengünstige“ Angestellte werden, wie es sie auf dem Weltmarkt zu Millionen gibt.

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James Goldsmith (1996): Die Falle – und wie wir ihr entrinnen können, Deukalion

Und was ist mit der Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland? Die findet alles in allem gar nicht statt: Von 1989 bis 1993 wuchs die Zahl der von deutschen Unternehmen im Ausland angestellten Mitarbeiter zwar um 190.000. Aber, heißt es bei Martin und Schumann: „Im gleichen Zeitraum kauften deutsche Investoren ausländische Unternehmen mit sogar über 200.000 Beschäftigten. Die (angeblich – A.P.) exportierten Arbeitsplätze waren also längst vorhanden“, bzw. wurden sogar auch hier durch das gleiche „Rationalisierungs“-Verfahren wie im Inland noch reduziert. Vergleichbares gilt für alle anderen internationalen Konzerne. Längst greifen auch überall in der „Dritten Welt“ Massenentlassungen um sich und führen zu Streiks und Unruhen. In Wirklichkeit werden also weltweit Arbeitsplätze vernichtet – nicht nur bei uns.

Was also soll das alles? Ist die Globalisierung nur ein Vorwand für Sozialabbau? Ein weiteres Buch legt als Antwort nahe: Sie ist nicht nur ein Vorwand. Dadurch, wie heute globalisiert wird, verstärkt sich ein zusätzlicher Arbeitsplatz-Vernichtungs-Mechanismus. Diesem wären wir allerdings sowieso nicht entgangen.

„Das Ende der Arbeit …

… und ihre Zukunft“ nennt der amerikanische Wirtschaftsjournalist Jeremy Rifkin sein Buch.

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Jeremy Rifkin (1997): Das Ende der Arbeit – und ihre Zukunft, Fischer.

In dessen Mittelpunkt steht ein Vorgang, der eigentlich altbekannt scheint: Die zunehmende Automatisierung und Technisierung. Und tatsächlich: Im Grunde passiert in dieser Hinsicht nur das, was allgemein für normal und wünschenswert gehalten wird – der wissenschaftlich-technische Fortschritt eben. Und der hat schon immer zur „Freisetzung“ von Arbeitskräften geführt – seit James Watts ersten Dampfmaschinen.

Bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts beschleunigte sich dieser Vorgang jedoch gewaltig. Nachdem in den zwanziger Jahren – vor allem durch die flächendeckende Verwendung von Fließbändern, Automobilen, Verbrennungsmotoren und Elektrizität – die gesamte US-Wirtschaft umstrukturiert worden war, ergab sich folgende Bilanz:

„Von 1920 bis 1927 steigerte die US-amerikanische Industrie ihre Produktivität um 40 %. Allein im verarbeitenden Gewerbe stieg die Leistung pro Arbeitsstunde um jährlich 5,6 %. Im selben Zeitraum wurden mehr als 2,5 Millionen Arbeitsplätz vernichtet, allein im verarbeitenden Gewerbe wurden 825.000 Beschäftigte entlassen. Die hohe Arbeitslosigkeit zog einen dramatischen Rückgang des Konsums nach sich“

– sprich: Es kam zu einer Überproduktionskrise. In deren Ergebnis standen 1932 bereits „13 Millionen Menschen auf der Straße, auf dem Höhepunkt der Krise im März 1933 waren es 15 Millionen.“

Was Jeremy Rifkin daraus schließt, ist für kapitalistische Produktionsverhältnisse also spätestens seit 70 Jahren unbestreitbar: „Die Frage, ob moderne Maschinen und Technologien mehr Arbeitsplätze und größeren Wohlstand mit sich bringen oder ob sie zu höherer Arbeitslosigkeit und zu wirtschaftlichem Abschwung führen, wurde in eindeutiger Weise beantwortet.“

Und heute? Da läuft im Prinzip genau das selbe – allerdings durch die Entwicklung von High-Tech und Computern explosionsartig verstärkt. Und diese neue Technik ist inzwischen so perfektioniert, daß fast sämtliche Schlupflöcher, in die sich „Freigesetzte“ noch vor einiger Zeit hätten flüchten können, verstopft sind. Das gilt selbst für den vielfach als Zukunftshoffnung beschworenen Dienstleistungsbereich: Nicht nur Bank- und Supermarktangestellte, Sekretärinnen und Buchhalter, Angestellte des „mittleren Managements“, Transport- und Lagerarbeiter, Hausmeister und Bibliothekare, Live-Musiker und Diskjockeys erweisen sich im Vergleich zu ihren High-Tech-Konkurrenten als „uneffektiv“. In den USA werden schon Videos, CD´s, Fast-Food und Mixgetränke durch den „Kollegen Computer“ verkauft. Medizinische Diagnosen und teilweise Behandlungen gehören gleichfalls zunehmend in sein Ressort. „Sogar die Kunst des Bücherschreibens“, teilt Rifkin mit, „fällt den intelligenten Maschinen anheim. Im Jahr 1993 registrierte die Verlagsbranche erstaunt die Veröffentlichung des ersten von einem Computer geschriebenen Romans. Mit Hilfe einer künstlich intelligenten Software war es Scott Finch gelungen, einem Apple-Computer fast drei Viertel des Textes für einen klassischen Liebesroman zu entlocken. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich. Das Buch bekam wohlmeinende Kritiken und verkaufte immerhin 15.000 Exemplare.“ Und: „Die Leistungsfähigkeit der Computer verdoppelt sich heutzutage alle achtzehn Monate …“.

Was das in der Endkonsequenz bedeutet, ist leider einleuchtend und zugleich kaum faßbar. Jeremy Rifkin beschreibt es so:

„Als erstes wurde die menschliche Muskelkraft durch Maschinen ersetzt, jetzt verdrängen Computerprogramme den menschlichen Verstand. In den meisten Industrieländern sind mehr als 75 % der Arbeitskräfte mit mehr oder minder einfachen Routinetätigkeiten beschäftigt. Die meisten dieser Tätigkeiten können auch von automatisierten Maschinen, Robotern oder leistungsfähigen Computern erledigt werden. Neueren Untersuchungen zufolge haben weltweit noch nicht einmal 5 % der Unternehmen mit der Einführung entsprechender Technologien begonnen. Der zu erwartende Übergang in ein neues Maschinenzeitalter wird in den nächsten Jahrzehnten eine Arbeitslosigkeit ungeahnten Ausmaßes mit sich bringen. Wassily Leontief, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, prophezeit, daß mit der Einführung immer leistungsfähigerer Computer der Mensch als wichtigster Produktionsfaktor verschwinden wird, genauso wie einst das Pferd durch die Einführung des Traktors aus der landwirtschaftlichen Produktion verschwunden ist. Anderthalb Jahrhunderte nachdem Karl Marx die Proletarier der Welt aufrief, sich zu vereinigen, verkündete Jaques Attali, Berater des französischen Präsidenten Mitterand für Wirtschaftsfragen: Die Maschinen sind das neue Proletariat, die Arbeiterklasse kann sich ihre Entlassungspapiere holen.

Da ja außerdem die Weltbevölkerung nach wie vor exponentiell wächst, dürften im nächsten Jahrhundert „Arbeiter und Angestellte“ weltweit nur noch als Ausnahmen vorkommen. Lohnarbeit im herkömmlichen Sinne ist eindeutig ein Auslaufmodell.

Aber damit ja wohl auch Kapitalismus im herkömmlichen Sinne. Was ein paar Jahrzehnte lang für einige westliche Länder funktioniert hat – die „soziale Marktwirtschaft“ mit ihrer „relativen Vollbeschäftigung“ – läßt sich im nächsten Jahrtausend nicht in diesen Ländern fortsetzen – und schon gar nicht auf die ganze Erde übertragen. Der Abgang der „sozialen Marktwirtschaft“ von der historischen Bühne war also im wahrsten Sinne des Wortes längst programmiert. Und gerade das, was als „endgültiger Sieg des Kapitalismus“ gefeiert wurde, hat diesen Abgang noch beschleunigt: Die Entstehung eines nahezu einheitlichen, westlich dominierten Weltmarktes für alle, die Industrie haben oder haben wollen.

Ohnehin geplant war: Die Bürgerinnen und Bürger westlicher Staaten werden untereinander ausgespielt im sich verschärfenden Gerangel um die verbleibenden Arbeitsplätze. Dazugekommen ist: Jeder gegen jeden im Weltmaßstab.

„Globalisierung“- das ist also vor allem eine Beschleunigung der schon lange schwelenden Krise, die Zuspitzung eines innerbetrieblichen Problems des Kapitalismus (und schon deswegen greifen alle „Euro“-Vorschläge zu kurz).

Aber ist damit wirklich nur der Kapitalismus an seine Grenzen gelangt? Woher kommt denn diese, der Realität hohnspechende Annahme, „daß technische Neuerungen und Produktivitätssteigerungen auch der arbeitenden Bevölkerung in Form von billigen Waren, größerer Kaufkraft und mehr Arbeitsplätzen zugute kommen“? Das ist, schreibt Rifkin, „im Kern eine Theorie der Ausbreitung des technischen Fortschritts“.

Also jener fast bedingungslosen Wachstums- und Wissenschaftsgläubigkeit, in der sich Realsozialismus und -kapitalismus ja leider ziemlich einig waren. Nur bei uns klang es dann zum Beispiel so: „Das Erreichte ist noch nicht das Erreichbare“. Dieser beliebte DDR-Slogan hätte aber statt von Erich Honecker eben auch von Helmut Kohl stammen können. Oder von Leon Battista Alberti, der mit dem Satz „Ein Mensch kann alles, was er will“ vor über 500 Jahren einen Kernsatz von Rennaissance und späterer „Aufklärung“ formulierte. Oder gar schon von Archimedes – getreu dem Motto „Gebt mir einen Punkt, wo ich stehen kann, und ich hebe die Welt aus den Angeln“?

Eine Lösung der „Globalisierungs“-Krise ist also offenkundig nicht nur innerhalb des Kapitalismus unmöglich. Noch viel Grundsätzlicheres steht zur Debatte.

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Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – Zeitschrift für neue Lebenskultur, Sommer 1997 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.

Tipp zum Weiterlesen:

Über „Die neuen Grenzen des Wachstums“.