China: Geborgenheit oder Gängelei?

Einige Fragen und Antworten zu den „Zitaten und Notizen zu China“

Es stimmt, die Idee des Sozialismus war und ist nicht tot. Dennoch ist Vorsicht angesagt, in China ein „Frühstadium eines Sozialismus“ zu sehen.

AP: Ich wollte damit nicht sagen, ich wäre mir sicher, wie es in China weiter geht. Aber soweit ich den aktuellen Zustand beurteilen kann – ich war ja noch nicht selbst in China –, bleibe ich bei dieser Einschätzung.
Zudem: Was ist Sozialismus? In der Sicht von Marx und vielen Marxisten sind die Produktionsverhältnisse ja immer mehr zum Selbstzweck geworden. Doch eigentlich sind sie nur Mittel zum Zweck der Ermöglichung sinnvollen Lebens. Allein das, was ich zu Beginn meiner „Notizen“ aus dem ersten Buch von Wolfram Elsner zitiert habe, belegt, dass es in China in diese Richtung geht.Wenn wir außerdem akzeptieren, dass der Schwerpunkt der Bedürfnisse der allermeisten Chinesen eher ausgerichtet ist auf Sicherheit, Gesundheit, Arbeitsplätze und Bildung als auf freie individuelle Entfaltung „westlicher“ Art, müssen wir auch sagen: Dieser Art von Bedürfnisstruktur trägt die Kommunistische Partei Chinas weitgehend Rechnung.
Schon das ist für mich „sozialistisch“, im Sinne von: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

Sehr bald verweist Du auf Deine Erfahrung in der DDR, die Du als „Geborgenheit“ beschreibst. Deine Einschätzung kann ich als subjektives Erleben überhaupt nicht in Frage stellen, aber es gilt nicht für den Großteil der Menschen der DDR, die sie wohl sehr unterschiedlich erlebt haben.  – Oder?

AP: Ich glaube schon, dass die meisten DDR-Bürger das Versorgt-Werden, Beschützt-Werden, die Planbarkeit des Lebens, die Sicherheit der Befriedigung sämtlicher materieller Grundbedürfnisse inklusive des Arbeitsplatzes auch als etwas Positives wahrgenommen haben, zumindest unbewusst. Es hatte nur oft zugleich den anderen Aspekt: Gängelei und Kontrolle.

„Patriarchat, Leistungsdenken, Autoritarismus, Abwertung von Psyche und Psychologie“, das zeigt sich aber auch im asiatischen Denken und möglicherweise in der patriarchalisch konzipierten chinesischen Familie – was sich auf die Kommunistische Partei Chinas und ihren Führungsanspruch übertragen lässt.

AP: Da hast Du recht. Aber zum Beispiel, dass sie die Gleichberechtigung der Frauen so sehr voranbringen – siehe Wolfram Elsner –, lässt mich hoffen, auch das ändert sich noch. Und zu diesem patriarchalischen Denken gehört ja nicht zuletzt eine Fortschrittsgläubigkeit, die umweltzerstörend wirkt. Auch da stellt China die Weichen inzwischen anders: in Richtung Ökologie.

Du schreibst, was wir brauchen, ist also „nur“ die – möglichst massenhafte – Bereitschaft, sich auf solche Ideen (erneut) einzulassen … Da schwingt mir zu viel Enthusiasmus mit …

AP: Vielleicht hätte ich die Anführungsstriche um das „nur“ ganz besonders FETT machen sollen …

Du zitierst, Konsens und Harmonie böten sozialen Zusammenhalt in China. Was macht Dich sicher, dass diese „Harmonie“ nicht als Mittel der Machtausübung instrumentalisiert wird und wurde? Auch unter der Kontrolle der KPCH wirkt ja die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus, der auf Profitmaximierung und Wachstum ausgerichtet ist.

AP: Ich denke ebenfalls, dass dieses Harmoniestreben eine Basis schafft für autoritäres Regieren. Deshalb habe ich diese Stelle hervorgehoben im selben Zitat: „In China haben wir somit den Anspruch einer Herrschaft durch eine moralische Elite, die sich als Vertreter auch des gemeinen Volkes verstand und die somit den Ruf nach dessen Selbstbeteiligung nie aufkommen ließ …“
Was den kapitalistischen Sektor betrifft, habe ich den Eindruck: Inzwischen hat die KP den ganz gut unter Kontrolle. Aber klar: Das kann sich ändern.

Ist Herrschaft „für das Volk“ nicht eine andere Form der Herrschaft „über das Volk“?

AP: Ja, aber eben besser als die hiesige Herrschaft gegen das Volk. Und: Nach der mehrtausendjährigen Prägung des Riesenlandes China – und aufgrund der lauernden, mächtigen Gegner – halte ich eine zügige Demokratisierung auch nicht für möglich.
Was geschieht, wenn autoritär Abhängige schnell in die Freiheit entlassen werden, haben wir ja 1990 in der DDR gesehen: Sie können, wollen nicht damit umgehen, suchen sich umgehend neue Herrscher. (Siehe auch Erich Fromms „Furcht vor der Freiheit.“)