„Vorsicht, Psychoboom!“ (1990)

Ratschläge zum Umgang mit dem aus dem Westen Deutschlands nach Osten schwappenden „Psychoboom“.

von Andreas Peglau

Unser (der Ex-DDR-Bürger) Bedarf und Nachholebedarf an Psychotherapie ist ganz bestimmt gewaltig. Aber längst nicht alles was da an hunderten von Therapieangeboten und -richtungen, Psychokulten und -sekten aus Richtung Westen zu uns rüberschwappt, ist sinnvoll – und schon gar nicht alles für jeden. Also – bei allem verständlichen Druck:

Warum ist es wichtig, seriöse von unseriösen Angeboten zu trennen?

Unverantwortlich durchgeführte Psychotherapie oder ähnlich intensive seelische ,,Eingriffe“ können kurzzeitige oder anhaltende seelische Schäden – bis hin zu psychotischen Zuständen (Wahnsinn) und notwendigen Einweisungen in psychiatrische Stationen – verursachen, starke Ängste oder Depressionen – bis hin zu Selbstmordabsichten – hervorrufen und dauerhafte oder vorübergehende Abhängigkeiten (vom Therapeuten oder Guru, von der Gruppe, Sekte oder von der Therapie u. a.) erzeugen.

Was tun?

Entweder: Von vornherein nur Angebote von Therapeuten wahrnehmen, die eine offizielle staatliche Anerkennung haben. Eine Behandlung bei diesen Therapeuten wird in bestimmten Umfang von der Kasse bezahlt. Voraussetzung ist eine entsprechende Diagnose und ein Gutachterantrag. Diese Angebote können in der BRD Psychotherapeuten machen, die niedergelassene Ärzte oder niedergelassene Klinische Psychologen sind.

Diese Therapeuten verfügen über eine anerkannte langjährige praktische und akademische Ausbildung und Berufserfahrung. Oder (zumal in Gegenden, wo weit und breit keine staatlich anerkannten Therapeuten zu finden bzw. lange Wartezeiten unvermeidlich sind): Auf eigene Faust suchen.

Was ist bei der Auswahl eines Therapeuten zu beachten?

– Zunächst mindestens jedes Angebot ebenso sorgfältig und gründlich prüfen, wie es bei jedem Auto- oder Hauskauf völlig normal wäre – nur daß jeder therapeutische Fehlgriff ungleich gravierendere Auswirkungen als der kaputteste Vergaser oder ein undichtes Dach nach sich ziehen könnte.

– Keine Therapeuten einfach nur aus dem Telefonbuch oder aus Annoncen auswählen – diese Eintragungen sagen in der Regel für den Laien nichts über deren tatsächliche Qualifikation und Berufserfahrung aus: Ernsthafte, gut ausgebildete Therapeuten können direkt neben Scharlatanen und Pfuschern stehen. Zeitungen sichern sich daher zumeist durch Vermerke ab, wie: Wir weisen darauf hin, daß die Anzeigen und Angebote nicht von der Redaktion geprüft und bewertet werden.

– Sich Therapeuten von Beratungsstellen empfehlen lassen oder von guten Bekannten, die bereits dort eine Behandlung mitgemacht haben und über ihre Erfahrungen berichten können.

– Vom Therapeuten ein Zertifikat oder Qualifikationsnachweis verlangen: Welche Ausbildung hat er, in welcher psychotherapeutischen Gesellschaft oder in welchem Berufsverband ist er integriert, zum Beispiel BDP – Berufsverband Deutscher Psychologen, wem ist er rechenschaftspflichtig usw.?

– Mehrere Therapeuten miteinander vergleichen. Die Chance dazu ergibt sich, weil sowieso jeder seriöse Therapeut mindestens ein (kostenloses) „Erstgespräch“ führen wird – das heißt ein Gespräch, in dem der Patient seine Probleme, Wünsche, Erwartungen, Ängste auf den Tisch legen und der Therapeut über seine konkreten Hilfsmöglichkeiten sprechen kann. In diesen Gesprächen sollte man sich ein Bild voneinander machen: Könnte ich Vertrauen zu ihm/ihr haben? Möchte ich, daß dieser Mensch mir hilft? Entsprechen seine Angebote meinen Vorstellungen?

– Autoritätsduselei vermeiden: Weißer Kittel, Doktortitel und selbst guter Wille des Therapeuten sind noch lange keine Garantie für eine gelingende Therapie: Es handelt sich hierbei immer um einen zweiseitigen Prozeß. Der Therapeut kann noch so hochqualifiziert und geschätzt sein, wenn ich keinen Draht zu ihm finde, ist es für mich der falsche. Also: Passen wir zueinander?

 Vorsicht bei

– allen ,,Schnellschüssen“: Sinnvolle, anhaltende seelische Veränderungen sind nie an einem Tag oder an einem Wochenende möglich, sondern ein langwieriger Prozeß. Es reicht nie aus, einfach nur eine bestimmte Situation (zum Beispiel Geburt) zu erleben – und schon ist man „gesund“. Derartige ,,Wochenend-Workshops“ reißen Probleme oft nur auf (zum Beispiel mit intensiver Massage, spiritueller Musik, tiefem langen Atmen oder rhythmischen Bewegungen in Gruppen, Hypnose u. ä. – und diese plötzlichen, nicht zu verarbeitenden Erfahrungen können uns überfluten, einen seelischen ,,Kurzschluß“ auslösen. Die versprochene ,,Bewußtseinsserweiterung“ kann im seelischen Zusammenbruch enden. Wenn solche ,,Workshops“ solide Angebote sein sollen, müssen auch sie eine persönliche, vertrauens- und verantwortungsvolle Beziehung zum Leiter oder Therapeuten ermöglichen und über einen langen Zeitraum immer wieder stattfinden – das heißt im Rahmen einer kontinuierlichen Arbeit (für psychotherapieerfahrene Menschen können sicher auch kurzzeitige Zusatz-Angebote verantwortungsvoller Therapeuten eine Bereicherung darstellen, aber auch hier sollte man genau wissen, worauf und mit wem man sich einläßt).

– allen autoritären Therapeuten, Leitern, Gurus. Sinnvolle Therapie kann nur verstärkte Autonomie, Selbständigkeit, Selbst-Bewußtheit als Ziel haben und keine Unterordnung unter Ideologien, Religionen, Ideen oder Personen. Ein Therapeut, den ich nicht auch kritisieren und befragen darf, ist dabei ein äußerst fragwürdiger Helfer.

– Alleskönnern: Unterschiedliche Therapieformen haben unterschiedliche wissenschaftliche Hintergründe und Therapieziele. Kein solider Therapeut wird behaupten, jede Störung jedes Patienten gleichermaßen gut behandeln zu können, sondern sogar eher einen Kollegen empfehlen, wenn er spürt, an eigene Grenzen zu stoßen.

– Therapeuten ohne Selbsterfahrung. Seit Sigmund Freud gilt, Therapeuten müssen wenigstens die Therapie hinter sich gebracht haben, die sie bei ihren Patienten anwenden. Andernfalls ist es nicht zu vermeiden, daß sie eigene ungelöste Probleme (zum Beispiel Minderwertigkeitskomplexe, Machtgier) unbewußt in die Therapeut-Patient-Beziehung mit einbringen und eine Heilung eher behindern als fördern. Bei staatliche anerkannten Therapeuten und allen anderen ernst zu nehmenden Therapierichtungen gehört Selbsterfahrung daher zum obligatorischen Ausbildungsbestandteil.

– ,,Haftungs-Ausschluß“-Papieren: Damit wird von vornherein jede Verantwortung des (in diesem Fall wohl kaum so zu nennenden) Therapeuten ausgeschlossen – egal, welche (Spät-)Folgen sich für den Patienten ergeben. Aktuelles Beispiel für solches Vorgehen: Die sogenannten ,,Mind-Machines“ (,,Mind-Salons“, ,,Brain-Relax-Studios“), die ,,sofortigen~Streßabbau“, ,,gesteigerte Lebensenergie“‚ ,,Harmonie in Körper und Geist“ versprechen. Diese wissenschaftlich nicht getesteten Maschinen, mit deren Hilfe Geräusche, Musik, Licht und Wellen kombiniert werden, kann in er BRD jeder erwerben und kommerziell einsetzen.

 

*

Frühere Veröffentlichungen finden sich in ICH – die Psychozeitung 2/1990 sowie in „Weltall, Erde …ICH“ bzw. www.weltall-erde-ich.de.

 

Tipps zum Weiterlesen:

Freiheit: keine Angst vor nix und niemand. Bilanz einer Primärtherapie

Erster und letzter Brief an einen Körpertherapeuten

Angst vor der Angst. Therapie-Nachbetrachtungen

„Das therapeutische Prinzip leben…“, Hans-Joachim Maaz 1997 befragt von von Andreas Peglau