Psychoanalytiker als Handlanger von US-Geheimdiensten

Buchessay von Andreas Peglau (*)

zu Im Auftrag der Firma. Geschichte und Folgen einer unerwarteten Liaison zwischen Psychoanalyse und militärisch-nachrichtendienstlichen Netzwerken der USA seit 1940 von Knuth Müller.
Psychosozial-Verlag Gießen 2017, 2 Bände, zusammen 1.157 Seiten. Mit einem Vorwort von Klaus-Jürgen Bruder. € 99.

Im Auftrag der Firma Cover Band 1

Unpolitische Psychoanalyse?

Der Psychoanalytiker Felix Schottlaender schrieb 1931:

„Die Psychoanalyse ist selbstverständlich ‘unpolitisch’. Sie […] ist […] eine naturwissenschaftliche Disziplin, die schon durch ihr Forschungsobjekt in die großen sozialen Fragen nur als unparteiliche, der Wahrheit dienende Instanz einzutreten vermag.“ [1]

Damit war er nahe bei Sigmund Freud, der die von ihm begründete Lehre zunehmend als objektive „Forschungsmethode, ein parteiloses Instrument“ [2] sehen wollte. „Die Psychoanalyse ist auch eine Naturwissenschaft. Was sollte sie denn sonst sein?“, fragte Freud kurz vor seinem Tod. [3]

Immerhin wollte er seine Schöpfung niemals reduziert wissen auf bloße Behandlungstechnik.
Doch genau dahin sollte die Reise gehen.
Aktuelle Selbstdarstellungen des in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) organisierten Hauptstroms der Analytiker wie der der 2011 erschienene Band „100 Years of the IPA“ lassen den Eindruck entstehen, Psychoanalyse sei im Wesentlichen eine medizinische Behandlungsmethode, allein dem Wohle der Patientinnen und Patienten und dem wissenschaftlichen Ethos verpflichtet. [4]

Portrait Knuth Müller © Autorenfoto: Paul Hynes-Allen, Berlin, http://www.hynes-allen.com

© Autorenfoto: Paul Hynes-Allen, Berlin, http://www.hynes-allen.com

Knuth Müller, geboren 1970, Diplom-Pädagoge und promovierter Diplom-Psychologe, ist in Berlin als Psychoanalytiker in eigener Praxis tätig. Nach jahrelangen Recherchen in internationalen Archiven erzählt er eine andere Geschichte – die, die hinter dem „unpolitischen“ Image der Psychoanalyse verborgen liegt. Dazu bemerkt er vorab:

„Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, einen wesentlichen Aspekt psychoanalytischer Denkweise auf ihre Geschichte anzuwenden, Verleugnetes zu integrieren, Verdrängtes bewusst werden zu lassen“ (S. 27).

Er zeigt: Während in Außendarstellungen gern eine vermeintliche Neutralität herausgekehrt wurde, ging es in der Realität oft darum, sich politischen Gegebenheiten anzupassen oder diese gezielt auszunutzen. Dies galt bereits bald nach dem internationalen Durchbruch der Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Erster Weltkrieg bis 1933, Europa

Schon während des 1. Weltkrieges agierten die Analytiker ambivalent, inklusive Freuds. Dieser sah sich einerseits zeitlebens als Pazifist. Er fand für jene Ärzte, die „Kriegsneurotiker“ mittels Verabreichens von Stromstößen wieder mordtauglich machten, das treffende Bild der „Maschinengewehre hinter der Front“ (S. 40 f.).
Dennoch dienten er und führende seiner Kollegen den Militärs die Analyse an: als sanftere Methode zur Erfüllung genau derselben Aufgabe. Dies in der Hoffnung, von den Geldtöpfen der Armeen zu profitieren und mehr internationale Reputation zu erlangen.
Den Höhepunkt dieser Bemühungen bildete der 1918er IPV-Kongress in Budapest, bei dem offizielle Regierungsvertreter Deutschlands, Österreichs und Ungarns zugegen waren. Freud bilanzierte später: Das „hoffnungsvolle Ergebnis dieses ersten Zusammentreffens war die Zusage, psychoanalytische Stationen zu errichten, in denen analytisch geschulte Ärzte Mittel und Muße finden sollten, um die Natur dieser [vermeintlich! – A.P.] rätselvollen Erkrankungen“ – der „Kriegsneurosen“ – „und ihre therapeutische Beeinflussung durch Psychoanalyse zu studieren.“ Mit offenkundigem Bedauern setzte er hinzu: „Ehe noch diese Vorsätze ausgeführt werden konnten, kam das Kriegsende“ (S. 41–45).

1933 waren dann die Institutionen des analytischen Hauptstroms bereits so korrumpiert, dass eine ihrer sozialkritischen Aspekte beraubte Psychoanalyse zügig ins NS-Gesundheitssystem integriert werden konnte, später die psychologische Kriegsführung der Wehrmacht inspirierte und der Luftwaffe half, ihre Gefechtsbereitschaft aufrecht zu erhalten.
Kein einziger Analytiker wurde vom Hitler-Regime verfolgt, weil er Analytiker war, namhafte „arische“ Analytiker stellten diesem Regime – mit Billigung der IPV – bis zu dessen Ende ihr Wissen zur Verfügung, waren an Euthanasie und Homosexuellenverfolgung beteiligt und arbeiteten offiziell weiter in ihren Privatpraxen. Psychotherapie inklusive tiefenpsychologisch-analytischer Behandlungen wurde vom NS-Staat und indirekt sogar von der NSDAP mitfinanziert. Die schon von Freud für die Psychoanalyse genutzte Bezeichnung „Tiefenpsychologie“ wurde zu einer zentralen Vokabel der NS-Psychotherapie. [5]

USA nach 1933: Wissenschaftler gegen NS-Deutschland

Der größere Teil der Analytiker und Analytikerinnen – viele von ihnen waren jüdischer Herkunft – verließen allerdings nach 1933 Deutschland, dann auch Europa; die meisten emigrierten in die USA. Und hier nimmt Knuth Müller den Faden wieder auf. Denn auf beiden Seiten des Atlantiks agierten Psychoanalytiker während der Zeit des Nationalsozialismus in politisch brisanten Zusammenhängen.

In den USA geschah dies im Wesentlichen „im Auftrag der Firma“ – also in Kollaboration mit den Geheimdiensten. Da die von Knuth Müller ausgewerteten Dokumente teils stark zensiert, Textpassagen und Namen oftmals geschwärzt wurden, ist nicht auszuschließen, dass noch weit mehr Personen beteiligt waren, als er identifizieren konnte. Klar ist: Nahezu alle prominenten, in die USA emigrierten Analytiker waren mit im Boot, zahlreiche US-amerikanische Analytiker sowieso.

Diese Kooperation beschränkte sich nicht auf Psychoanalytiker, wie Knuth Müller an anderer Stelle [6] ausführt:

„Die Liste bekannter Anthropologen, Soziologen, Biologen, Psychologen, Psychiater und anderer Vertreter akademischer und nichtakademischer Herkunft, die sich für eine Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Geheimdienst erwärmen ließen, ist lang. So arbeiteten zum Beispiel Theodor Adorno, Gregory Bateson, Ruth Benedict, Felix Gilbert, John Herz, Herta Herzog, Max Horkheimer, Morris Jannowitz, Otto Kirchheimer, Herbert Marcuse, Paul Massing, Margaret Mead, Robert Merton, Barrington Moore, Franz Neumann, Talcott Parsons, Edward Shils, Hans Speier, Paul Sweezy, Carl Zuckmayer

zur damaligen Zeit für US-Geheimdienste. Und: „Schließlich diente sich auch Allen Dulles’ persönlicher Agent Nr. 488, C.G. Jung, dem [Geheimdienst] OSS an und lieferte seine ganz eigenen kriegsrelevanten Einschätzungen – auch in Bezug auf Hitlers Psychobiografie.“ Aber auch Gesprächstherapie-„Vater“ Carl Rogers engagierte sich in diesen Zusammenhängen.

Einer der beteiligten US-amerikanischen Psychoanalytiker, Henry Murray, verfasste zwischen 1940 und 1945 mehrere Geheimdienststudien mit „Persönlichkeitsanalysen“ Adolf Hitlers. Der aus Wien gekommene Erik Erikson lieferte Beiträge über die „Nazi-Mentalität“ und die „Vernehmung deutscher Kriegsgefangener“. Der ehemalige Österreicher Ernst Kris erstellte eine Studie zur NS-Rundfunkpropaganda. Der deutsche Emigrant Ernst Simmel entwickelte das Konzept einer „propagandistischen ‚Kurzwellenradiopsychotherapie‘ für das deutsche Volk“, die er so erläuterte:

„Das wesentliche Ziel psychologischer Frühattacken ist es, panikartige Zustände zu evozieren, die eine effektive Abwehr lähmen. […] In Radiosendungen eingeschmuggelt, beeinflussen sie den mentalen Zustand des Zuhörers umso stärker, je weniger er sich dieser Sendungen bewusst ist“ (S. 79, 175f., 199, 204).

Diese Aufzählung konkreter Projekte im Rahmen der psychologischen Kriegsführung ließe sich fortsetzen.

Für psychoanalytische Zuarbeiten entstand 1941 sogar eine eigene, freilich kurzlebige Geheimdienstabteilung unter der Leitung des Analytikers [7] Walter C. Langer (S. 56), die zunächst versuchte, der weitverbreiteten Ablehnung von Kriegseinsätzen entgegenzuwirken.

(Eine der vielen Stellen im Buch, wo sich Gedanken über die Gegenwart aufdrängen: Wird wieder psychoanalytisches Wissen eingesetzt, um der Bevölkerung die direkte deutsche Kriegsbeteiligung in Syrien oder deutsche Atombomben schmackhaft zu machen? Steht solcherart Wissen längst mit im Hintergrund bei der Kriegsrhetorik hiesiger Leitmedien und der Verschleierung des realen Charakters des „War on Terror“?)

Wie umfangreich die Zusammenarbeit zwischen Analytikern und US-Geheimdienst war, zeigen die von Langer im Jahr 1941 verfassten Memoranden. Aus diesen geht hervor, dass „mehr als 42 %“ aller Mitglieder der „American Psychoanalytic Association“ (APsaA), der US-amerikanischen Analytiker-Dachorganisation, in geheimdienstliche Tätigkeiten eingebunden waren (S. 115). Zudem berichtete Langer im selben Jahr, dass sich „die APsaA […] geschlossen zur geheimdienstlichen Mitarbeit bereit erklärte“ (S. 59).

Bei einer geheimdienstlich organisierten und finanzierten Konferenzreihe über „Germany after the War“, die von April bis Juni 1944 an der Columbia University in New York stattfand, nahmen unter anderem die bekannten Analytiker Erik Erikson, Franz Alexander, Erich Fromm, Heinz Hartmann, Ernst Kris, Marianne Kris und Robert Waelder teil. Sie besprachen zum Beispiel „Fragen der deutschen Charakterstruktur und Möglichkeiten ihrer Veränderung sowie […] Perspektiven der Politik im besetzten Deutschland im Zusammenhang mit politischen Stimmungen in den USA“ (S. 211–219).

Zwar werfen Zuarbeiten für Geheimdienste grundsätzlich schwierige moralische Fragen auf, was für die USA von 1924 bis 1972 dadurch unterstrichen wird, dass an der FBI-Spitze der ausgewiesene Antidemokrat und fanatische Kommunistenhasser J. Edgar Hoover stand. Dennoch ist das beschriebene Verhalten der Analytiker gut nachvollziehbar, als Unterstützung antifaschistischer Bestrebungen auch zu würdigen.
Auf das, was Knuth Müller hier herausgearbeitet hat, könnte die internationale Psychoanalyse also zu Teilen durchaus stolz sein. Könnte – denn in deren offizieller Geschichtsschreibung taucht es nach wie vor nicht auf. [8]

Ab 1941: Gegen Kommunismus und Sozialkritik

Allerdings ist die Geschichte dieser Kooperation damit nicht vollständig. Im Mai 1941 beschloss das neu gegründete „Committee on Morale“ der APsaA, einen Fragebogen für alle 472 amtlichen, Ehren- und außerordentlichen APsaA-Mitglieder zu entwerfen (S. 60, 64). Dieses Vorhaben kündigte das Komitee in der Zeitschrift Psychoanalytic Review öffentlich an. Eine der vorgegebenen Fragen lautete:

„Sind Sie im Besitz wichtigen analytischen oder historischen Materials, das sich mit dem Vorhandensein faschistischer, kommunistischer oder ähnlicher Einstellungen bei Patienten in Ihrer Praxis oder in der Ihrer Kollegen beschäftigt?“

Um die Übersendung dieses Materials wurde gebeten. In einer zweiten, bald darauf an denselben Personenkreis verschickten Erhebung wurde diese Frage dann so variiert:

„Können Sie dem Komitee analytisches Material oder Material aus Fallgeschichten zur Verfügung stellen, das sich mit dem Problem revolutionärer Einstellungen [!] oder Unzufriedenheit mit dem sozialen und politischen Status Quo [!] beschäftigt?“ (S. 65 f.).

Diese Frage war verbunden mit einem eindeutigen Hinweis auf die diesbezüglich beabsichtigte Kooperation der APsaA mit dem US-amerikanischen Geheimdienst.

272 Fragebögen kamen zurück. Resultat: Fast jeder Dritte befürwortete das Vorhaben und war bereit, es zu unterstützen. Ein Teil der daraufhin beim Moral-Komitee eingehenden Therapieberichte und weitere Patientendaten wurde unter Federführung von Franz Alexander 1942 in anonymisierter Form dem Geheimdienst zugestellt. Alexander konstatierte in diesem Zusammenhang, dass der Krieg „bestimmte stimulierende Effekte besitzt, die unsere reguläre Arbeit durchaus bereichern“ (S. 117) – eine Haltung, mit der er 1918 gut auf den Budapester IPV-Kongress gepasst hätte.

Obwohl das Moral-Komitee, wie Knuth Müller hervorhebt, „kaum eine Möglichkeit ausließ“, um „die Psychoanalyse für den militärischen und geheimdienstlichen Einsatz anzupreisen“ (S. 100), und obwohl Teile der „psychoanalytischen Gemeinschaft“ sogar auf finanzielle Unterstützung verzichteten, um für den Geheimdienst arbeiten zu dürfen (S. 153), war das Interesse auf der Gegenseite eher gering – was sich später allerdings ändern sollte. Offenbar wurde von staatlichen Stellen die Psychiatrie der Psychoanalyse vorgezogen (S. 110 f.).

Festzuhalten bleibt: Führende US-Analytiker bzw. deren Vertretung befanden es zum einen vertretbar, Informationen über Patienten und Therapiegeschehen an Geheimdienste weiterzureichen. Zum anderen wurden kommunistische Haltungen mit faschistischen gleichgesetzt und revolutionäre sowie das US-System kritisch reflektierende Einstellungen gleichermaßen pathologisiert. Beides wurde vom übergroßen Teil der mit der APsaA verbundenen Therapeuten und Therapeutinnen ohne Protest akzeptiert.

Kein Wunder, dass von einer „tendenzlosen“ Psychoanalyse – ein freilich ohnehin realitätsferner Anspruch – auch in den USA dann erst recht keine Rede sein konnte. Stattdessen war das Tun vieler Analytiker darauf ausgerichtet, „die Stärkung der Kriegsmoral voranzutreiben“ und den vermeintlich neurotischen Pazifismus in „patriotische Einsatzbereitschaft – in manchen Fällen auch bis hin zum Dienst an der Waffe“ – umzuwandeln: „Ein ‘Ja’ zum Kriegseinsatz war demnach Kennzeichen eines realitätsbezogenen und damit weniger neurotischen Erlebens“ (S. 134).

Menschenversuche, auch auf Basis von KZ-Experimenten

Ab 1942 sollten von den Geheimdiensten zusätzliche Projekte initiiert werden, für die ebenfalls psychologische, wohl auch ärztliche Kompetenz benötigt wurde. Und wieder wurde man – nicht nur, aber auch – unter den Psychoanalytikern fündig. Zum einen entwickelte und testete Henry Murray, unterstützt von weiteren Analytikern, „Stressinterviews“ zur Auswahl künftiger Agenten. Deren Anwendung führte bei manchen Probanden zu „lähmenden […] Angstattacken“ und „Ohnmachtsanfällen“. Zudem nahmen US-Geheimdienste Menschenversuche in Angriff, um ein „Wahrheitsserum“ zu finden. Dabei kamen unter anderem Meskalin, Barbiturate, Skopolamin, dann Cannabis zum Einsatz. Die Verabreichung dieser Stoffe führte bei den Versuchspersonen teilweise zu heftigen körperlichen Abwehrreaktionen und „starken psychischen Beeinträchtigungen“, mindestens in einem Fall zu einer längeren stationären Behandlung. An der Versuchsplanung und -durchführung wirkte zumindest ein Psychoanalytiker mit: Lawrence Kubie (S. 224–236).

Auch intern wollte man auf analytisches Knowhow nicht verzichten: Die CIA beispielsweise nutzte es zur Auswahl von Agenten, zur Behandlung „psychiatrisch auffälligen“ Personals, zur „Fernanalyse von politischen Funktionären anderer Nationen“ sowie zur „Optimierung“ von Verhörmethoden (S. 376 f.).

Als es nach 1945 nicht mehr gegen den Faschismus, sondern im Zuge des Kalten Krieges nun erst recht gegen den Kommunismus ging, waren ebenfalls Analytiker mit dabei. Zu diesem Zweck wurden sowohl während des Krieges begonnene Programme zur Verhaltens- und Bewusstseinsmanipulation weitergeführt als auch andere hinzugenommen, so das Projekt MKULTRA: ein sich „primär auf psychologische Faktoren stützendes Verhörs- und Folterparadigma“, das „als Blaupause“ diente für die nach dem 11.9.2001 „eingesetzten US-Foltermethoden und -techniken“ (S. 405).

Basis von MKULTRA waren nicht zuletzt Ergebnisse „nationalsozialistischer Menschenexperimente“ (ebd.). In dem  für mein Empfinden aufwühlendsten Teil (S. 251–412) seines an erschütternden Fakten reichen Buches beschreibt Knuth Müller detailliert, welche „Menschenversuche und Foltermethoden des NS-Regimes“ in den USA nach 1945 „über den Weg der Nutzung von Dokumenten und eingeschleustem NS-Personal gesammelt, evaluiert“ und an zu Teilen ebenfalls als „minderwertig“ eingestuften Menschengruppen erprobt wurden: „Somit hatten NS-Experimente und vereinzeltes NS-Personal Anteil an der Entwicklung moderner US-Foltertechniken“ (S. 250).

Und eben auch wieder: Psychoanalytiker.

Ab 1947 führte man ebenso illegale wie inhumane Menschenversuche mit „Wahrheitsdrogen“ wie Meskalin oder LSD durch, teils vor oder nach psychochirurgischen Eingriffen. Die von der „Abteilung experimentelle Psychiatrie“ des New York State Psychiatric Institute vorgenommenen, wieder der Geheimhaltung unterliegenden Versuche wurden nun finanziert vom chemischen Korps der US-Armee; mit dem CIA bestand eine enge Zusammenarbeit. Die Patienten waren über die wahre Natur dieser Versuche nicht informiert, erhofften sich stattdessen wohl zum Beispiel Heilung von Depressionen.
Am 8. Januar 1953 fiel diesen Versuchen ein Patient zum Opfer: Harold Blauer, ein 42-jähriger Tennisprofi. Die ihm gegen seinen Willen verabreichten, letztlich tödlichen Injektionen erhielt er von dem Analytiker James P. Cattell. Auch dies blieb ohne juristisches Nachspiel. Cattell machte anschließend eine glänzende Karriere (S. 455–481).

CIA-Foltermanuale: auch mittels Tiefenpsychologie

Kooperationen mit US-Geheimdiensten endeten aber nicht in den 1950er Jahren. Diverse auch von Psychoanalytikern unterstützte Studien, unter anderem mit in das Gehirn implantieren Elektroden zur emotionalen und verhaltensorientierten Fernsteuerung des Menschen fanden schließlich Eingang in ein 1963 erstelltes CIA-Foltermanual namens „KUBARK Counterintelligence Interrogation ManualManual’(S. 412–426). Durch KUBARK wurden die USA „zu dem globalen Exporteur psychologischer Foltertechniken“ (S. 426, vgl. S. 710).
KUBARK wurde zum Vorbild „der jüngsten CIA-Folterungen der Bush- und Obama-Administrationen im Rahmen des sogenannten ‘War on Global Terror’, da es die wissenschaftlich untersuchten Aspekte psychologischer Kernmerkmale zur Brechung der Persönlichkeit eines Menschen systematisch zusammenfasst“.[9]

Wie die jahrzehntelange Kollaboration zwischen Psychoanalytikern und „Firma“ bis heute weltweite US-Terrormaßnahmen flankiert, umreißt schließlich das Kapitel „Die Folgen. Von Watergate bis Guantánamo Bay“ (S. 697–736).
Der Historiker Alfred M. McCoy von der Wisconsin-Madison-Universität konstatierte 2006: Das „wohl bekannteste Foto aus Abu Ghraib […], jenes, in dem ein Iraker auf einer Box steht, mit einer Kapuze über den Kopf und […] Stromkabeln an den Armen“, erlaube Rückschlüsse auf die gesamte „CIA-Foltergeschichte“. Knuth Müller präzisiert:

„Durch das Herstellen einer Situation totaler Hilflosigkeit, verbunden mit dem dadurch ausgelösten Ohnmachtsempfinden, der durch Regression forcierten Abhängigkeit, der Ermangelung jeglicher Hoffnung auf ein Ende des Martyriums, dem Implementieren selbst zugefügten Schmerzes […], zusätzlicher Techniken der Desorientierung (Manipulation von Zeit- und Raumempfinden, Schlafentzug etc.) sowie durch Einsatz sensorischer Deprivation und Isolation ist ein rascher regressiver Persönlichkeitsverfall erreichbar, der durch physische Foltermethoden allein nicht ausgelöst werden kann“ (S. 716).

Die CIA hatte zudem „bis in die jüngere Vergangenheit hinein Interesse an psychohistorischen Biographieentwürfen durch Psychoanalytiker“ (Band 2, S. 972).

Schon in Bezug auf KUBARK hatte Knuth Müller prognostiziert: Auch die künftige Anwendung dieser tiefenpsychologisch fundierten Torturen

„scheint gesichert: Präsident Donald J. Trump ist ein überzeugter Folteranhänger – und damit steht der Verlängerung der […] Traditionslinie der Folter scheinbar wenig im Wege“ (S. 426).

Ist das noch Psychoanalyse? Fazit

Knuth Müller hat dieses Themengeflecht so umfassend dargestellt, dass sein Buch für lange Zeit das maßgebliche Werk dazu bleiben wird. Dessen Umfang sollte nicht davor abschrecken, sich damit auseinanderzusetzen. Die Trennung von Textband (ca. 750 Seiten) und Anhang (ca. 400 Seiten) erleichtert die Nutzung deutlich. Zudem ist es in einer verständlichen Weise geschrieben, die spüren lässt, dass der Autor sich nicht etwa nur an ein Fachpublikum wendet. Dass der Verlag ermöglicht hat, online eine Textsuche im Buch durchzuführen, macht das Fehlen eines Registers wett. Es ist zu hoffen, dass es bald zusätzlich als E-book erscheint, damit dieser Schatz an Informationen so effektiv wie möglich ausgewertet werden kann.

Aber vor allem: Wer „Im Auftrag der Firma“ liest, hat ein wichtiges, spannendes und bislang unbekanntes Kapitel der jüngeren Wissenschafts- und Geheimdienstgeschichte zur Kenntnis genommen. Und dabei gesehen, mit welcher Perfidie eben auch psychologische und psychotherapeutische Kenntnisse eingesetzt werden, um nach innen wie außen gerichteten staatlichen Terror und globale Eroberungspläne zu flankieren.
Wie die Physik dazu verwendet werden kann, ökologische Energiekonzepte zu kreieren oder Atombomben zu bauen, lässt sich – je nach Anwender, Absicht und gesellschaftlichem Rahmen – auch psychoanalytisches Wissen für diametral entgegengesetzte Ziele verwenden. Entweder, im günstigsten Fall, zum Heilen, Aufklären und sinnvollen Gestalten individueller und sozialer Prozesse. Oder für Verdummung, Manipulation, Unterdrückung und Folter. Letztere Verwendung wird in Knuth Müllers Buch am Beispiel der USA vorgeführt, die auch in dieser Hinsicht zweifellos eine Vormachtstellung hat.
Doch es wäre naiv zu glauben, andere Geheimdienste oder andere Staaten würden hier grundsätzlich weniger verbrecherisch verfahren, Deutschland beispielsweise sei davor irgendwie gefeit.

Und wer zuvor noch gemeint haben sollte, wenigstens Psychoanalytiker könnten innerhalb eines Systems wirken, ohne Anteil an dessen schuldhaften Aspekten zu haben, büßt diese Illusion beim Lesen unweigerlich ein.
Es lässt sich sogar darüber streiten, ob der traurige Rest, der nach so viel Konformismus und (Selbst-)Kastration noch übrig ist, weiterhin den Namen „Psychoanalyse“ verdient. In einem Interview mit den NachDenkSeiten sagt Knuth Müller dazu: Psychoanalyse „ist, wenn für diese Zwecke missbraucht, schlicht nicht mehr existent, verliert ihre Berechtigung.“

 

Anmerkungen

(*) Der Text wurde geschrieben für SozialGeschichte.Online und dort in einer vom Redakteur gekürzten und veränderten Fassung veröffentlicht (https://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-46971/14_Peglau_Rez_Mueller_Im_Auftrag.pdf)

[1] Schottlaender, Felix: Aggressionstrieb und Abrüstung, Die psychoanalytische Bewegung, Jg. 1931, Heft. 5, S. 386–407. Hier S. 387.
[2] Freud, Sigmund: Die Zukunft einer Illusion, in ders.: GW Band 14, Frankfurt/M.: Fischer 1999, S. 325–380. Hier S. 360.
[3] Freud, Sigmund: Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis, in ders.: GW Band 17, Frankfurt/M.: Fischer 1999, S. 139–147. Hier S. 143.
[4] So zum Beispiel Loewenberg, Peter/Thompson, Nellie L. (Hg.): 100 Years of the IPA. The Centenary History of the International Psychoanalytic Association 1910–2010. Evolution and Change, London: Karnac 2011. Die Verwicklungen von Analytikern in die diktatorischen Regimes in Brasilien und Argentinien werden dort weitestgehend ausgeblendet, nur die Verhaltensweisen der Wiener und der Deutschen Analytiker zwischen 1933 und 1945 einer teils kritischen Würdigung unterzogen. Von all dem, was Knuth Müller– übrigens nicht zuletzt auf Basis seit Längerem oder schon immer öffentlich zugänglicher, dennoch von ihm erstmals ausgewerteter Dokumente – zutage gefördert hat: kein Wort.
[5] Ausführlich dazu: Peglau, Andreas: Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus, Gießen: Psychosozial-Verlag 2017 [2013].
[6] Müller, Knuth: Im Auftrag der Firma. US-Nachrichtendienste und die „Psychoanalytic Community“ 1940–1953 – ein Werkstattbericht, Jahrbuch der Psychoanalyse, Bd. 64, 2012, S. 41–90, hier S. 44f.
[7] Knuth Müller weist darauf hin, dass Langer zwar kein Mitglied des Amerikanischen oder Internationalen Psychoanalytikerverbandes war, aber analytische Ausbildungen durchlaufen hatte und in einschlägigen Fachpublikationen als Psychoanalytiker bezeichnet wird. Zu Langer ausführlich insbesondere S. 135–173.
[8] Vgl. Loewenberg/Thompson 2011 (wie Anm. 4).
[9]  Müller, Knuth: Im Auftrag der Firma. Begegnungen der „Psychoanalytic Community“ mit US-amerikanischen Geheimdiensten am Beispiel der Jahre 1940–1963. Unveröff. Manuskript eines Vortrages auf dem 25. Symposion zur Geschichte der Psychoanalyse, 2.–4. März 2012 in Berlin, o. S.

Tipp zum Weiterlesen:

Gab es psychoanalytische Schriften gegen den Faschismus?