von Andreas Peglau
Fremde Wesen
1843 schrieb Marx, das „Geld“ habe „die ganze Welt, die Menschheit wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt,“ „dies fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an.“[1] 1844 attestierte er der Arbeit, sie „sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware“.[2] Über „Ware“ erfuhr man dann im Kapital, sie „liebt das Geld“,[3] sei „ein sehr vertracktes Ding […], voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“ sowie interner Kommunikationsmöglichkeit. Die Ware „Leinwand“ beispielsweise verrate, „sobald sie in Umgang mit andrer Ware, dem Rock, tritt“, „ihre Gedanken in der ihr allein geläufigen Sprache, der Warensprache“.[4] Vom „Wert“ hören wir, er werde „das Subjekt [!] eines Prozesses, worin er […] seine Größe selbst verändert, […] sich selbst verwertet. […] Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier“, verwandle sich in ein „automatisches Subjekt“.[5]
Das Produktionsverhältnis stattete Marx mit derselben Macht und Lebendigkeit aus wie das Kapital, indem er beide gleichsetzte: „das Kapital ist“ ein „einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis“.[6] Ebenso verfuhr er mit den Produktionsmitteln („Das Kapital, das sind die in Kapital verwandelten Produktionsmittel“)[7] und dem Geld: „Jedes neue Kapital betritt zum erstenmal die Bühne […] immer noch als Geld.“[8]
Im Nachwort zur zweiten Kapital-Auflage[9] stoßen wir dann auf eine Häufung von Marx animierter Wesenheiten:
„Einerseits trat die große Industrie selbst nur aus ihrem Kindheitsalter heraus, wie schon dadurch bewiesen ist, daß sie erst mit der Krise von 1825 den periodischen Kreislauf ihres modernen Lebens eröffnet. Andrerseits blieb der Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit in den Hintergrund gedrängt, […] ökonomisch durch den Hader des industriellen Kapitals mit dem aristokratischen Grundeigentum […].“
Noch kurz vor Schluss des dritten Kapital-Bandes wiederholt sich die Metapher, der Kapitalist sei „in der Tat nichts […] als das personifizierte Kapital“, gefolgt von der unpoetischen Formulierung, die kapitalistische Wirtschaft sei „charakterisiert“ durch „die Verdinglichung der gesellschaftlichen Produktionsbestimmungen und die Versubjektivierung der materiellen Grundlagen der Produktion“.[10] Mit „Versubjektivierung“ meinte Marx nicht, die individuelle Persönlichkeit der Kapitalisten – die bei ihm ja nicht vorkommt – bestimme den Produktionsprozess, sondern er variierte einmal mehr die These, „das Kapital“ agiere als Subjekt.
Was Marx schon 1844 festgehalten hatte, wirkt insofern wie eine programmatische Ankündigung: „Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet, um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche Welt, die er sich gegenüber schafft.“ Sein Arbeitsprodukt existiere „unabhängig“ von ihm, als „selbständige Macht“; „das Leben, was er dem Gegenstand verliehn hat“, trete „ihm feindlich“ gegenüber: „Mit der Masse der fremden Gegenstände wächst […] das Reich der fremden Wesen, denen der Mensch unterjocht ist.“[11]
Seelische Zustände
Marx-Biograf Michael Heinrich fasst die diesbezüglichen Ansichten von Marx treffend zusammen: „In einer Waren produzierenden Gesellschaft stehen die Menschen (und zwar alle!) tatsächlich unter der Kontrolle der Sachen.“[12] Doch Sachen sind nun einmal mal per Definition unlebendig. Sie verfügen nicht über Gedanken, Gefühle, Willen, Ziele, können auch nicht kontrollieren und herrschen. Sachen werden allerdings von Menschen verwendet, die kontrollieren und herrschen wollen oder andere Ziele verfolgen.
Ein am Wegesrand liegender Stein lauert nicht auf mich. Eine Verletzung durch diesen Stein entstünde erst, wenn ihn eine, vielleicht wutgeladene Person nach mir wirft. Wenn ich diese Person nicht gesehen habe und naiv genug bin, kann ich mir unter Umständen einbilden, der Stein selbst wollte mich verletzen. Aber das ist eben: Einbildung.
Was also fasste Marx hier tatsächlich in Worte und Bilder? Eine psychische Realität: Menschen kommt es so vor, als ob sie von Sachen beherrscht werden, sie reden es sich ein, lassen es sich einreden – und verhalten sich dementsprechend. Sie bauen sich einen tönernen Götzen und beten ihn an als machtvollen Herrscher.
Michael Heinrich schreibt, die „sachliche Herrschaft“ bestünde ausschließlich, „weil sich die Menschen in einer besonderen Weise auf diese Sachen beziehen“.[13] Heißt im Gegenzug: Die vermeintliche Herrschaft von Sachen endet, sobald die Menschen sich in anderer Weise auf die Sachen beziehen, wenn sie realitätsgerecht mit ihnen umgehen, der Suggestion und Autosuggestion, der Gehirnwäsche ein Ende setzen, den Götzen entzaubern, seine Hintermänner und -frauen identifizieren und entmachten.
Wo Marx objektiven wirtschaftlichen Faktoren beim Wirken zuzusehen glaubte, beschrieb er daher in Wirklichkeit oftmals seelische Zustände. Genauer gesagt: seelische Zustände autoritär erzogener, dadurch von sich selbst entfremdeter Individuen.
Den autoritären Charakter[14] kennzeichnen zwei hauptsächliche Handlungsoptionen: nach oben buckeln, nach unten treten. Diese „Radfahrer-Persönlichkeit“ wird, mehr oder weniger ausgeprägt, allen Angehörigen patriarchal-hierarchischer Gesellschaftsordnungen ab Geburt andressiert. Sie verbindet daher „oben“ mit „unten“, kann jedoch an der Spitze der Machtpyramide anders agiert werden als an deren Fuße.[15] Wer es schafft, führender Kapitalist oder einer von dessen privilegierten Handlangern zu werden, kann „treten“. Den „Arbeiternehmern“ sowie dem Rest der Bevölkerung wird nahegelegt, zu buckeln. Die Mehrheit hält sich daran. Doch, wie gezeigt: Es existieren, insbesondere für Kapitalisten, erwähnenswerte Spielräume.
Marx hat also das Verhalten der meisten Menschen im Kapitalismus korrekt wahrgenommen und dargestellt. Aber er zog den falschen Schluss, sie müssten sich auch so verhalten.
Um das zu vermeiden, hätte er die Ökonomiefixierung zugunsten einer ganzheitlicheren, nicht zuletzt psychologischen Sichtweise aufgeben müssen. Freilich: Wie hätte er das tun sollen? Was er da zu erkennen vermeinte, hielt er ja für gesetzmäßig.
Soziale Gesetze
1844 schrieb Friedrich Engels: „Das Gesetz der Konkurrenz ist, daß Nachfrage und Zufuhr“ von Produkten nicht steuerbar seien, „weil in diesem bewußtlosen Zustande der Menschheit kein Mensch weiß,“ was an Erzeugnissen tatsächlich benötigt oder absetzbar sei. Da sich in der kapitalistischen Wirtschaft daher nie in „ein gesunder Zustand“ einstelle, führe das unausweichlich zu Krisen, diese letztlich unausweichlich zu Revolutionen. Dies sei, betonte Engels, „ein reines Naturgesetz“. Den auch ihm naheliegend erscheinenden Einwand „Was soll man von einem Gesetz denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann?“ wischte er hinweg: „Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht.“[16] Um da ein naturgesetzliches, damit unvermeidliches Wirken annehmen zu können, hätte Engels die „Bewußtlosigkeit“ ebenfalls als unvermeidlich einordnen müssen. Stattdessen fügte er die Aufforderung an: „Produziert mit Bewußtsein, als Menschen, nicht als zersplitterte Atome ohne Gattungsbewußtsein, und ihr seid über alle diese künstlichen und unhaltbaren Gegensätze hinaus.“[17] Dass sich mit diesem Befreiungsschlag auch jenes „Naturgesetz“ in Luft auflösen würde, scheint weder ihn irritiert zu haben noch Marx, der im Kapital zustimmend auf die ersten Zeilen dieses Passus verweist.[18]
Letzteres ist nicht verblüffend: Im Hauptwerk von Marx häufen sich derartige „Gesetze“. Bereits im Vorwort ist von „den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion“ die Rede, welche „mit eherner Notwendigkeit“ wirken und sich durchsetzen. Als „letzte[n] Endzweck“ seines Buches benennt Marx dort, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“. Die „Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation“ werde von ihm als „naturgeschichtliche[r] Prozeß“ aufgefasst,[19] „naturgemäße Entwicklungsphasen“ der Gesellschaft ließen sich „weder überspringen noch wegdekretieren“.[20]
Um nur einige weitere Beispiele aufzulisten: Da gibt es „Gesetze des einfachen relativen
Wertausdrucks“, ein „blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit“, das „Gesetz, daß die Quantität der Zirkulationsmittel bestimmt“, „die Gesetze des Geldumlaufs“, das „Gesetz der Spekulation“, Gesetze „über die Natur der Ware, des Werts, des Geldes“, das „Gesetz des Warenaustausches“, die „immanenten Gesetze der einfachen Warenzirkulation“, die „Naturgesetze der modernen Produktionsweise“,[21] die „Zwangsgesetze der Konkurrenz“, das „Gesetz der Wertbestimmung durch die Arbeitszeit“, das „Gesetz der Verwertung“, das „absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“.[22] Zu Letzterem macht Marx die Ergänzung, dass es „gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert“ wird. Wer nun genaueren Aufschluss erhofft, wird enttäuscht: Marx wehrt ab, dass „deren Analyse nicht hierher gehört“.[23]
Eine Relativierung enthält auch seine Einschätzung, dass die „Arbeiterklasse […] aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständli-che Naturgesetze anerkennt.“[24] Das ist zugleich eine der Stellen, wo bei Marx eine Ahnung durchzuschimmern scheint, dass er seelische Zustände abhandelt.[25] Denn es klingt ja, als bildeten Arbeiter sich ein, dass es sich um Naturgesetze handelt; würden sie dieser Sichtweise ihre Anerkennung entziehen oder Änderungen in Erziehung, Tradition, Gewohnheit vornehmen, wären jene „Gesetze“ erledigt. Aber auch dem geht Marx nicht nach.
Manche Gesetze könnten sich, teilt er mit, ineinander „verwandeln“, so die „Gesetze über den Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert […] in Gesetze des Arbeits-lohns“. Oder: Im selben Maße, wie die Warenproduktion „nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben Maß schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneignung.“[26]
Marx verdeutlicht mehrfach, dass die Gleichsetzung mit physikalischen oder biologischen Naturgesetzen, mit langfristig unveränderlichen, von Menschen jedenfalls unabhängigen Wirkfaktoren wörtlich zu nehmen sei.[27] So setze sich die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam“ durch „wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt“.[28] Zu sozialen Kasteneinteilungen und Handwerker-Zünften heißt es, sie „entspringen aus demselben Naturgesetz, welches die Sonderung von Pflanzen und Tieren in Arten und Unterarten regelt“.[29] Der „Wechsel der Arbeit“ setze sich „als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes“[30] durch, also wohl: analog einer Naturkatastrophe. Und über die „gesellschaftliche Produktion“ erfahren wir, sie verhalte sich „[g]anz wie Himmelskörper“, die „einmal in eine bestimmte Richtung geschleudert, dieselbe stets wiederholen“.[31]
1868 bekräftigte Marx in einem Brief: „Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden.“[32]
Scheinbar herrschende Zufälle
Doch wie sollten sich all diese sozialökonomischen (Natur-)Gesetze durchsetzen, wo sie ja auf unzählige Menschen stoßen, die verschiedener „physische(r) Beschaffenheit“ sind, in unterschiedlichsten „geologischen, oro-hydrographischen, klimatischen & andern“[33] Verhältnissen leben, verschiedenartige Veranlagungen, Interessen, Klassenzugehörigkeiten haben, sich bezüglich „Geschlecht, Alter und Geschick“,[34] Bildungsstand, Erfahrung und vielem anderen voneinander unterscheiden?
Da sich Marx derartig oft auf „Gesetze“ beruft, hängt die Glaubwürdigkeit seiner Konzepte in hohem Maße davon ab, wie sich diese Frage beantworten lässt. Als Engels sich 1886 erneut dazu äußerte, griff er wieder auf die „Bewusstlosigkeit“ zurück:
„In der Natur sind es […] lauter bewußtlose blinde Agenzien,[35] die aufeinander einwirken und in deren Wechselspiel das allgemeine Gesetz zur Geltung kommt. […] Dagegen in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewußtsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewußte Absicht, ohne gewolltes Ziel. Aber dieser Unterschied […] kann nichts ändern an der Tatsache, daß der Lauf der Geschichte durch innere allgemeine Gesetze beherrscht wird. Denn auch hier herrscht auf der Oberfläche, trotz der bewußt gewollten Ziele aller einzelnen, im ganzen und großen scheinbar der Zufall. Nur selten geschieht das Gewollte, in den meisten Fällen durchkreuzen und widerstreiten sich die vielen gewollten Zwecke oder sind diese Zwecke selbst von vorn-herein undurchführbar oder die Mittel unzureichend. So führen die Zusammenstöße der zahllosen Einzelwillen und Einzelhandlungen auf geschichtlichem Gebiet einen Zustand herbei, der ganz dem in der bewußtlosen Natur herrschenden analog ist. […] Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel treibt, da wird er stets durch innre verborgne Gesetze beherrscht, und es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken.“[36]
Ich halte diese Argumentation für unbelegt, unbelegbar und tautologisch: Weil es nun mal diese Gesetze gibt, wirken sie eben gesetzmäßig; daher haben sowohl der Zufall als auch die betroffenen Menschen keine andere Wahl, als sie umzusetzen, basta!
Das steht zudem im Widerspruch zu – mir berechtigt erscheinenden – Überlegungen, die Marx und Engels 1845, zu Beginn ihrer Kooperation, anstellten: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“[37] Im Manifest der Kommunistischen Partei hieß es dann: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“[38] Statt um gesetzmäßige Zufälle ging es da noch um – veränderbare! – Machtstrukturen, die verhindern, dass von der großen Mehrheit Gewolltes sich gegen die Interessen der Herrscher durchsetzt.
Naturgesetze
Laut der 2021 erschienene Enzyklopädie Philosophie ist ein Naturgesetz „eine in den Naturwissenschaften, v[or] a[llem] in der Physik, Chemie, Biologie, in den angewandten Naturwis-senschaften wie z.B. in der Geologie oder der Medizin und teilweise in der biologischen Psychologie erkannte Gesetzmäßigkeit, die objektiv und universell gilt“.[39] Zu Lebzeiten von Marx war die Erläuterung weniger exakt; man verstand darunter „‘Gesetze, nach denen die Veränderungen in der Natur stattfinden‘. Als naturwissenschaftlich erklärbar galten alle Veränderungen, die sich in mathematischen Formeln ableiten ließen“. [40]
Ich kann mir aber kein Naturgesetz vorstellen, dessen Wirkung die von ihm betroffenen Objekte erst selbst herstellen, indem sich „in den meisten Fällen“ ihre Zielsetzungen „durch-kreuzen“ oder auf andere Weise scheitern.
Der Tübinger Philosoph Karl Theodor Groos illustrierte das 1926 an einem Beispiel: Auch wenn Schneeflocken zunächst „vom Wind in die Höhe gewirbelt werden, statt dem Gravitationsgesetz nach auf die Erde zu fallen“, wirkt die Gravitation von Anfang an und durchweg auf sie ein[41] – das Gesetz der Schwerkraft stellt sich nicht erst dadurch ein, dass sie in verschie-dene Richtungen fliegen und vielleicht irgendwann kollidieren. Und schon gar nicht realisiert sich die Gravitation per Zufall. Ganz abgesehen davon, dass Schneeflocken nichts „wollen“, keine Eigendynamik in den Prozess einbringen, es nicht darauf anlegen, der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen.[42]
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Weiterlesen in Teil 7: Fragwürdige Vor- und Rückschau, Wunschdenken
Quellenverzeichnis.
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Anmerkungen
[1] Marx 1976b, S. 375.
[2] Marx 1968, S. 511.
[3] Marx 2021, S. 122.
[4] Ebd., S. 66. Neffe (2017, S. 406, 410) zitiert das ebenfalls und kommentiert: „Faszinierend, wie Marx die scheinbar [!] passiven Objekte immer wieder in handelnde Subjekte verwandelt. […] Waren […] nehmen ihren Platz in der Menschengemeinschaft ein wie eigenständige Wesen […].“ Faszinierend mag es sein, real wird es dadurch nicht.
[5] Marx 2021, S. 168f. Mit letzterem Ausdruck soll offenbar erneut einer bloßen Worterfindung Leben eingehaucht werden (vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Automatisches_Subjekt).
[6] Marx 1983a, S. 822.
[7] Ebd., S. 823.
[8] Marx 2021, S. 161.
[9] Ebd., S. 20.
[10] Marx 1983a, S. 832, 838.
[11] Marx 1968, S. 512, S. 546.
[12] Heinrich 2021, S. 73.
[13] Ebd.
[14] Vgl. Peglau 2018a.
[15] 1844 hatte Marx etwas formuliert, das nach meinem Empfinden dieser Sichtweise recht nahekam. Er schrieb, „besitzende Klasse“ und Proletarier erführen zwar „dieselbe menschliche Selbstentfremdung“. Doch erstere empfänden sich darin „wohl und bestätigt“, erlebten das „als ihre eigne Macht“, die ihnen „den Schein einer menschlichen Existenz“ gebe. Die Arbeiter dagegen fühlten „sich in der Entfremdung vernichtet,“ nähmen sie wahr als „ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz“ (Marx/ Engels 1972a, S. 37).
[16] Engels 1981, S. 514.
[17] Ebd., S. 515.
[18] Marx 2021, S. 89, Fn 28.
[19] Ebd., S. 12, 15f., 16.
[20] Ebd. Auch wenn Marx „naturwüchsig“ für Wirtschaftsprozesse verwendet, ist meist gemeint: unabhängig von Menschen.
[21] Ebd., S. 299.
[22] Ebd., S. 114, 117, 136, 141, 224, 170, 248f., 172, 299, 335, 337, 343, 674.
[23] Ebd.
[24] Ebd., S. 765.
[25] Eine andere Stelle ist eine Fußnote, in der Marx (ebd., S. 72) feststellt, dass jemand „z.B. nur König“ ist, „weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.“
[26] Ebd., S. 565, 613.
[27] Es ging ihm also auch nicht um etwas, was damals auch noch gar nicht in der Wissenschaft diskutiert wurde und was heute stochastische oder statistische Gesetze genannt wird: Zusammenhänge, die sich nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit durchsetzen. Das Wort „wahrscheinlich“ kommt in allen drei Kapital-Bänden fast nur in Zitaten vor, wird jedenfalls nicht zur Relativierung der Marxschen „Gesetze“ verwendet.
[28] Ebd., S. 89. Hiebel (2019, S. 32) bemerkt dazu: „Marx hätte hier ‚Naturgesetz‘ in Anführungszeichen setzen müssen, denn eine gesellschaftliche Regelung ist nichts Naturgesetzliches. ‚Naturgesetz‘ ist hier ganz deutlich als Metapher eingesetzt.“ Aber Hiebels letzterer Satz ist eben unzutreffend – und deswegen fehlen die Anführungszeichen.
[29] Marx 2021, S. 360.
[30] Ebd., S. 511.
[31] Ebd., S. 662. Im 19. Jahrhundert war allerdings die Erwartung, Menschheitsentwicklung so exakt erfassen zu können wie Naturvorgänge, unter Wissenschaftlern, insbesondere Ethnologen, keine Seltenheit (Kuckenburg 2021, S. 56–58).
[32] Marx 1974, S. 532.
[33] Marx/ Engels 2017, S. 8.
[34] Marx 2021, S. 477.
[35] Triebkräfte.
[36] Engels 1975a, S. 296f. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er erklärt: „Aber Zufall, das ist nur der eine Pol eines Zusammenhangs, dessen andrer Pol Notwendigkeit heißt. In der Natur, wo auch der Zufall zu herrschen scheint, haben wir längst auf jedem einzelnen Gebiet die innere Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit nachgewiesen, die in diesem Zufall sich durchsetzt. Was aber von der Natur, das gilt auch von der Gesellschaft. Je mehr eine gesellschaftliche Tätigkeit, eine Reihe gesellschaftlicher Vorgänge der bewußten Kontrolle der Menschen zu mächtig wird, ihnen über den Kopf wächst, je mehr sie dem puren Zufall überlassen scheint, desto mehr setzen sich in diesem Zufall die ihr eigentümlichen, innewohnenden Gesetze wie mit Naturnotwendigkeit durch. Solche Gesetze beherrschen auch die Zufälligkeiten der Warenproduktion und des Warenaustausches […]“ (Engels 1975b, S. 169). Ähnlich argumentiert Marx 1868 in einem Brief: „Die Weltgeschichte wäre […] sehr mystischer Natur, wenn ‚Zufälligkeiten‘ keine Rolle spielten. Diese Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den allgemeinen Gang der Entwicklung und werden durch andere Zufälligkeiten wieder kompensiert.“ Im dritten Band des Kapital stand dann, „die Sphäre der Konkurrenz“ sei zwar, wenn jeder einzelne Fall betrachtet werde, „vom Zufall beherrscht“. Doch „das innere Gesetz, das in diesen Zufällen sich durchsetzt und sie reguliert“, werde „sichtbar“, sobald diese Zufälle „in großen Massen zusammengefaßt werden“ (Marx 1983a, S. 835).
[37] Marx/ Engels 2017, S. 60, weitere Ausführungen dazu ebd., S. 60–66.
[38] Marx/ Engels 1972b, S. 480. Wilhelm Reich (1933, S. 12) gab dem später eine psychosoziale Fundierung: „In der Klassengesellschaft ist es die jeweils herrschende Klasse, die mit Hilfe der Erziehung und der Familieninstitution ihre Position sichert, indem sie ihre Ideologien zu den herrschenden Ideologien aller Gesellschaftsmitglieder macht.“
[39] Sandkühler 2021, S. 1728. Natur sei, heißt es dort auch (ebd., S. 1705), „ein Sammelbegriff zur Bezeichnung von Bereichen der Wirklichkeit, die ohne menschliches Zutun entstehen bzw. existieren. In diesem Sinne wird Natur auch als Gegenbegriff zu den Begriffen ‚Kultur‘ bzw. ‚Gesellschaft‘ verwendet“. So gesehen, hätte für Marx erst recht keine Möglichkeit bestanden, sozialökonomische Naturgesetze zu finden.
[40] https://de.wikipedia.org/wiki/Naturgesetz
[41] Gross 1926, S. 8.
[42] Gegen die Vorhersagbarkeit sozialer Entwicklungen durch einen seiner Ansicht nach von der Antike bis zu Marx reichenden „Historizismus“ argumentiert auch Popper 1974 (siehe auch Gmainer-Pranzl 2019). Erpenbeck (2023, S. 169–177), der Poppers Sichtweise zum Teil kritisiert, stimmt jedoch zu, dass valide Prognosen für langfristige gesellschaftliche Entwicklungen unmöglich sind.