Der Blick in die Alltagsgeschichte von Anpassung und Widerstand am Beispiel der Psychoanalyse im Dritten Reich

Fritz Reheis in DAS ARGUMENT 310/2014

Diese medizinhistorische Studie zur Rettungsstrategie der Psychoanalyse im Angesicht der faschistischen Gefahr ist ein Fallbeispiel für die enthumanisierende Tendenz, die mit der Ideologie einer angeblich unpolitischen Humanwissenschaft zwangsläufig verbunden ist. Auch heute engagieren sich Humanwissenschaftler vordringlich für die ›Ertüchtigung‹ des Menschen, berufen sich auf Realitätssinn, unterwerfen sich allen möglichen Optimierungsprogrammen: Pädagogen lassen sich für die frühzeitige Produktion von ›Humankapital‹ instrumentalisieren und folgen einem Kompetenzansatz, der auf jegliche gesellschaftskritische Reflexion verzichtet. Mediziner orientieren sich in ihrer therapeutischen Arbeit an Kosten- und Nutzenkalkülen und leisten wenig Widerstand gegen die angeblich alternativlose Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Sind wir nicht längst Zeugen und Mittäter einer unmerklichen Erosion unserer zivilisatorischen Standards geworden (Harald Welzer)? Der Blick in die Alltagsgeschichte von Anpassung und Widerstand am Beispiel der Psychoanalyse im Dritten Reich könnte unsere Aufmerksamkeit vor allem dafür schärfen, wie unspektakulär und unmerklich die Barbarei Einzug in den Alltag halten kann. Dazu hat Verf. wertvolles Material bereitgestellt.

 

Komplette Rezension in Das Argument 310/ 2014, S. 744-747.