Einmalig

John Erpenbeck in einer Amazon-Rezension von „Unpolitische Wissenschaft?“:

Dieses Buch ist einmalig in der deutschen Bücherlandschaft, ich vermute sogar weltweit.

Warum?

Es hat drei Vorzüge, die einzeln vielleicht auch bei anderen Büchern zu finden sind, aber nie in dieser Kombination.

Zunächst – und weitab jeder Selbstverständlichkeit: Der Autor kann schreiben. Es handelt sich um keinen Kriminalroman, um keine Liebesschmonzette, sondern um Fakten, Fakten, Fakten. Aber sie sind in einer Weise dargeboten, dass derjenige, der sich überhaupt für historische und psychologische Themen interessiert, am Text hängen und im Text drinnen bleibt. Ein wissenschaftlicher Text – der Autor hat damit promoviert – der gekonnt und flüssig, lesbar und anziehend geschrieben ist: Man muss lange suchen um dergleichen zu finden. Ich habe viele, auch sehr kluge, Dissertationen begutachtet. Eine so gut, so spannend geschriebene ist mir weder zuvor, noch nachher begegnet.

Dann – sind die hier dargebotenen historischen und aktuellen Fakten selbst hoch interessant. Viele neu und einzigartig, die meisten neu bewertet und in neue Zusammenhänge gestellt. Peglau hat sich auch schon zuvor bemüht, Wilhelm Reich, der in der psychoanalytischen Bewegung in vielerlei Hinsicht eine besondere Rolle spielt, Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Radikalisiert in den dreißiger Jahren, verfemt, verfolgt und mit antikommunistischer Hysterie überschwemmt in der Nachkriegszeit, als Befreiungsikone missverstanden in der 68er Bewegung, harrt der wirkliche, grüblerische, interessante und experimentelle Denker Reich immer noch einer Aufarbeitung ohne Zorn und Eifer, dafür aber mit einer Sachkenntnis, wie sie der Autor hier an den Tag legt. Man wünscht sich aus seiner Feder eine gut Reich-Biografie und eine endlich mal unideologische, objektive, ebenso detailversessene Darstellung der psychoanalytischen Bewegung insgesamt.

Schließlich – und damit zeigt das Buch seine aktuelle Sprengkraft, ist es eine ungeheuer detailreiche, sozusagen feinkörnige Darstellung realer historischer Entwicklungsprozesse und ihrer Akteure, ohne grobskizzierte Vereinfachungen, ohne immer nur teilweise zutreffende Einordnungen,  ohne ideologische Leit- und Scheuklappen. Und da wird eine Vielzahl von nachvollziehbaren Anpassungsvolten sichtbar, von einem Denken in kleineren Übeln, von einer durchaus ambivalenten Nutzung der großen psychoanalytischen Erkenntnisse und Mythen. Der ferner stehende Leser, der sicher auch geglaubt hat, die Psychoanalyse sei gewiss als jüdische Wissenschaft dem nazistischen Verdammungswillen insgesamt anheim gefallen, muss erstaunt begreifen, dass Psychologen- und Denkfiguren jener Wissenschaft durchaus den antisemitischen Furor überlebten, ja dass die Nazis manches davon für brauchbar hielten, um ihr Ariervolk zu stärken. Hier fördert der Autor so unglaubliche Zusammenhänge zutage, dass sie den Blick auf jüngere deutsche und internationale Geschichte weiten: Wie haben sich Anpassungsvorgänge in der DDR, wie in der Bundesrepublik abgespielt, wie „funktionieren“ Diktaturen der unterschiedlichsten Färbungen weltweit in Bezug auf die Ablehnung, die teilweise oder völlige Assimilation wissenschaftlicher, insbesondere human- und sozialwissenschaftlicher Ergebnisse und welchen individuellen, manchmal bedauernswerten aber kaum verdammenswerten Biografien begegnet man bei der gründlichen Aufarbeitung historischer Zusammenhänge.

Sicher wird die Zukunft unendlich viel weiteres Material zur Geschichte der von den Nazis teilweise verbotenen aber nie wirklich verbrannten Psychoanalyse zutage fördern. Aber sie wird die Dichte, Vielfältigkeit und Verästelung, wie sie in  dem Buch von Andreas Peglau aufscheint kaum übertreffen. Eben deshalb ist es ein einmaliges Buch.

Prof. Dr. John Erpenbeck, Berlin

 

Quelle: http://www.amazon.de/review/R1FFOH7M4PLWO6/ref=cm_cr_dp_title?ie=UTF8&ASIN=3837920976&channel=detail-glance&nodeID=299956&store=books