Schlagwort-Archive: Freud

Ein „sehr modernes medizinisches Fach“ und „jüdische Seelenvergiftung“: Psychoanalyse im Völkischen Beobachter 1938/39 (Psychoanalyse im Nationalsozialismus, Teil 7)

von Andreas Peglau

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Nicht nur im Zentralblatt für Psychotherapie, der für innerhalb Deutschlands wirkende Psychotherapeuten entscheidenden Zeitschrift, blieb es bis zur Einstellung ihres Erscheinens 1944 möglich, würdigend von »Psychoanalyse« zu sprechen – von »Tiefenpsychologie« ohnehin – und zentrale analytische Termini wie »Übertragung«, »Projektion« und »Libido« zu gebrauchen, ohne sich davon zu distanzieren (Peglau 2017, S. 351-410).
Dass es auch außerhalb von Fachmedien nicht tabuisiert war, die Analyse positiv zu erwähnen,[1] belegt sogar der Völkische Beobachter.

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Tiefenpsychologische Kriegsführung am „Göring-Institut“ (Psychoanalyse im Nationalsozialismus, Teil 9 und vorläufiger Schluss)

von Andreas Peglau

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Bernays, Goebbels – und Freud

Sigmund Freuds in den USA lebender Neffe Edward Bernays war einer der »Väter« der „Public Relations“. In seine Anleitungen zur Meinungsmanipulation ließ Bernays Thesen Freuds  einfließen und behauptete:

»Wenn wir die Mechanismen und Motive der Massenseele verstehen, ist es uns nun möglich, die Massen nach unserem Willen zu kontrollieren und zu führen, ohne dass sie es mitbekommen« (Bernays 1928, S. 47–48).

Sein erstes Buch zu diesem Thema, das 1923 erschienene Crystallizing Public Opinion, wurde laut Bernays‘ Angaben auch von Joseph Goebbels zu Rate gezogen (Fossel i. V.).[1]
Doch wie Florian Fossel mitteilt, wird Freud in diesem Buch nur einmal namentlich erwähnt, sonst nur indirekt auf ihn Bezug genommen.

 

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Mythos Todestrieb. Über einen Irrweg der Psychoanalyse

von Andreas Peglau

1932 bezeichnete Freud (1999c, S. 101) „[d]ie Trieblehre“ als „unsere Mythologie“, Triebe als „mythische Wesen“. 1920, in Jenseits des Lustprinzips, hatte er das umstrittenste dieser „Wesen“ erstmals öffentlich vorgestellt: den Destruktions- oder Todestrieb, später Thanatos benannt, nach dem griechischen Todesgott. Noch heute hat die Annahme eines solchen Triebes Einfluss in- und außerhalb der Psychoanalyse – obwohl ihre Realitätsferne längst erwiesen ist. Weiterlesen

Der Mensch ist dem Menschen KEIN Wolf – über eine eklatante Freud`sche Fehlleistung

von Andreas Peglau

Die noch immer – und nicht nur unter vielen kleinianischen und lacanschen Psychoanalytikern – verbreitete Auffassung, es gebe einen Todes-, Destruktions- oder zumindest einen, wie Konrad Lorenz postulierte, Aggressionstrieb, lässt sich mit guten wissenschaftlichen Argumenten bezweifeln.¹ Literatur dazu ist reichlich vorhanden.²
Bemerkenswert und meines Wissens wenig bekannt ist jedoch: Auch dem vielfach als Autoritätsbeweis für die Existenz angeborener Bösartigkeit herangezogenen Satz Sigmund Freuds liegt die krasse Fehlauslegung eines Zitates zugrunde.

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100 JAHRE „URSZENE“. Anmerkungen zu einem strittigen Begriff

von Andreas Peglau

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Psychoanalytische Geröllhalden

Johannes Cremerius (1995, S. 47) urteilte, die Psychoanalyse habe nur eine Zukunft, wenn sie sich „Aufräumarbeiten“ in der Begriffsbildung unterziehe, statt weiter dahin zu stolpern über „Geröllhalden beliebiger, vieldeutiger Begriffe oder solcher, die nur geheime Vokabeln für Eingeweihte sind“. Sogar „im Zentrum der psychoanalytischen Theoriebildung“ stoße man auf „generalisierende Ideen“, „Privatphilosophien“, nie Geklärtes und unreflektiert Weitergegebenes. Ich teile diese Ansicht.
Die als kindliche Beobachtung elterlichen Geschlechtsverkehrs verstandene, angeblich traumatisierende „Urszene“ scheint mir einer der hinterfragenswürdigen Begriffe zu sein. Daher wollte ich wissen: Wie wird in der Psychoanalyse Freuds tatsächlicher Umgang mit diesem Terminus berücksichtigt? Ist die dieser Szene zugeschriebene Wirkung mittlerweile empirisch geprüft?

Urszene

Sigmund Freud 1918: „Lösung aller Rätsel“.

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Eine “unerfüllbare Forderung” an die “Gesetzgeberin des Philosophierens”. Die erste öffentliche Weltanschauungsdebatte der Psychoanalytiker

von Andreas Peglau

1983 berichtete Helmut Dahmer in der Psyche von Publikationen, die Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre zur Identität der Psychoanalyse Stellung nahmen. Kernpunkte waren auf der einen Seite Wilhelm Reichs Plädoyers für eine Annäherung von Psychoanalyse und Marxismus, auf der anderen die Betonung des naturwissenschaftlich-objektiven, daher „unpolitischen“ Charakters der Analyse sowie die Distanzierung von „linker“ Psychoanalyseauslegung und Bolschewismus. Dahmer wies auch darauf hin, dass es Vergleichbares schon „am Vorabend des ersten Weltkriegs“ gegeben habe, „in Gestalt einer Erörterung des Verhältnisses von Psychoanalyse und Philosophie“ (Dahmer 1983, S. 1133). Auch diese frühere Kontroverse ist der Betrachtung wert.  Weiterlesen

Wilhelm Reich: ausgegrenzt, vergessen, neu bewertet

Sigmund Freuds widerständiges Erbe“ – unter diesem Titel fand am 6. Juni 2014 ein Symposium anlässlich des 70sten Geburtstags von Bernd Nitzschke statt, das sich den »Grenzgängen innerhalb und außerhalb psychoanalytischer Institutionen« widmete.

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Die politische Psychoanalyse und ihr verdrängter Exponent Wilhelm Reich. Vortrag über wesentliche Inhalte des Buches „Unpolitische Wissenschaft?“

von Andreas Peglau

Nach dem Erscheinen meines Buches im August 2013 hatte ich mehrfach Gelegenheit, es bei öffentlichen Veranstaltungen vorzustellen. Anschließend wurde ich jedes Mal gebeten, das Mitgeteilte auch zu veröffentlichen. Ich habe diese Vorträge deshalb zum vorliegenden Text zusammengestellt. Ich hoffe, er gibt nicht nur einen guten Überblick über einige der wichtigsten Ergebnisse meiner Recherchen, sondern weckt ebenfalls Interesse, sich mit dem Buch selbst zu befassen. Weiterlesen

Bruchstücke der Wilhelm-Reich-Biografie (Auszug 1 aus „Unpolitische Wissenschaft?“)

von Andreas Peglau

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1.1 Frühe Prägungen

Wilhelm Reich kam am 24.3.1897 in Galizien, im östlichen Teil des damaligen Österreich-Ungarns, zur Welt. Seine Kindheit war bestimmt durch die für diese Epoche typischen, autoritär-gefühlsunterdrückenden Normen und Familienverhältnisse, deren Studium er sich später so intensiv widmen sollte. Weiterlesen

Ausgangspunkte. Aus der Einleitung zu „Unpolitische Wissenschaft?“

von Andreas Peglau

Die Psychoanalyse ist, vor allem aber war weit mehr als eine Psychotherapiemethode. Von der Krankenbehandlung ausgehend, entwickelte sich Sigmund Freuds Lehre in wenigen Jahren zu einer spezifischen Möglichkeit, sich selbst und die Welt zu erkennen – und zu verändern. Weiterlesen